Himmel, Hölle, Gummitwist

Kinder – Spiel – Räume. Eine Ausstellung in der Galerie im Körnerpark  ■ Von Uta von Arnim

Himmel – heute zum ersten Mal die vierte Position geschafft beim Gummihüpfen. Ging spielend. Bisher immer ins Gummiband verwickelt. Mit meinen langen Beinen. Haben die anderen auch hergeschaut? Das muß doch die ganze Welt erfahren. Meinen Triumph. Der Ball ging ins Tor. Wie zufällig, so leicht. Ich tat, als sei ich kein Held. Och, war doch Zufall, kann ja jeder. Aber Paule ist vier Jahre älter. Der fand's gut. Darf jetzt jeden Nachmittag mitspielen.

Hölle – Abschießen, Rausschmeißen, Ausscheiden, Gefangennehmen. Verlieren. Ich verliere doch immer. Die anderen sind schneller, schlauer, gewandter. Sie haben immer Glück. Ich kann nicht verlieren, sagen die Erwachsenen auch noch. „Ist doch nur ein Spiel.“ Für mich nicht, das ist meine Welt. Darf nicht mehr mitspielen. Weil ich das Spiel kaputtmache, wenn ich verliere. Viel lieber würde ich sie kaputtmachen, die grinsenden Sieger, Gewinner, Mächtigen, Glücklichen.

Kinder – Spiel – Räume. Drinnen und draußen, damals und heute. Eine Ausstellung unter dem Titel „Himmel, Hölle, Gummitwist“ in der Galerie am Körnerpark, Neukölln, möchte die Geschichte sich verändernder Spielgewohnheiten und -möglichkeiten in Berlin zeigen. Das Ausgestellte darf nicht nur beguckt, sondern auch bespielt werden.

Kinder lieben Baumhäuser, Höhlen, Wasserpfützen. Der Baum aus Zweigen und Lehm ist innen hohl, zum Hochsteigen, oben ein Lager. Da ist man sicher, kann den feindlichen Indianerstamm schon am Horizont erkennen. Im Halbdunkel der bemalten Pappmachéhöhle gedeihen Phantasien. Da wird gekrabbelt, gekabbelt und geflüstert. Man könnte stundenlang darin kauern und sich Geschichten erzählen. Hinaus zum „Hochhaus“ führt eine Holztreppe. Computer und Telefon, Plüschtiere und Barbiepuppen versammeln sich auf engem Raum. Für stille Kinder ist der Spiel- Raum klein. Ein blasses, zerbrechliches Mädchen sitzt still und traurig in einem Winkel unter dem Haus, während die anderen lärmen und toben.

Mit lebensgroßen Kinderfiguren illustrierte Bilder aus der Geschichte Berliner Spielwelten interessieren die Kinder nicht. So was freut eher die Eltern: die Berliner Straßengöre mit Schnürstiefeletten, die einen Kreisel treibt; die Trümmerkinder mit Schubkarren; die nostalgischen Fotos aus den zwanziger Jahren. Liebevoll zusammengetragen: Rollerfahrer und Ballspieler, Puppenreigen und Hopsespiel. Neben den Kinderfiguren, wie zufällig übriggebliebene Schnipsel einer vergangenen Zeit, kleben Anleitungen längst vergessener Spiele. Spiele ohne Aufwand, ohne bunten Karton, ohne Spielsteine und -brett. Mit Würfel, Papier, Kreide, einer ruhigen Straße, Seil, Reifen, Ball. Bisher von Großeltern, Eltern, Onkel und Tanten an die nächste Generation weitergegeben und abgewandelt, sterben Spiele jetzt aus, wenn sie nicht archiviert und katalogisiert werden. Ob wir sie so festhalten können, um ihnen eines Tages wieder Leben einzuhauchen?

Die letzten Jahrzehnte engten die äußeren wie inneren Kinderspielräume ein. Autos nahmen Kindern die Straßen als Spielplatz, der Bauboom Grünflächen, Schuttplätze, brachliegende Refugien. Statt dessen kamen neue Spielgefährten: Barbie und Gameboy, Glotze und Walkman. Sie stehlen den Kindern den letzten Raum, der ihnen noch blieb: die Welt der Phantasie. Waren Kinder früher wirklich glücklicher? Oder ist das erwachsene Nostalgie? Sollen die Teddies weggeworfen werden? Computer abgeschafft, Fernsehen verboten?

Kinder brauchen Raum, ihre Kraft zu erproben, die Welt nach ihrem Willen zu formen. Aus ihren Ideen soll etwas entstehen. Ephemer, nutzlos, zerstörbar. Spielerisch eben. Dazu braucht es wenig: Wasser, Matsch, Bäume, Latten, Nägel, Farbe, Pappe, Lumpen, Omas Brautkleid, Opas Melone. Bei Kellerstreifzügen finden sich die tollsten, natürlich verbotenen Dinge. Vater, Mutter, Kind spielen – das ist Erwachsenenquatsch (wie langweilig). Wer das Brautkleid erwischt, ist Kleopatra, Cäsar zieht Vaters Anzugjacke an. Und wenn Mama und Papa kein Theater wegen der Klamotten machen, dürfen sie als Sklaven mit nach Ägypten reisen...

Die Ausstellung ist noch bis 11. Juli, Di.–So. von 11 bis 18 Uhr, in der Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, Neukölln, zu sehen. Der Katalog kostet 30 DM.