Glashaus über verbauter Geschichte

Der alte Preußische Landtag ist ein Parlamentssitz mit bewegter Vergangenheit / Sitz für Revolutionäre, Demokraten und Nazis / Mit dem Umbau wird die DDR-Geschichte abgetragen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Berlin. „Durch seitliche Mauern geschützt“, schrieb die Deutsche Bauzeitung 1899 zur Eröffnung des Preußischen Landtags, „liegt das hinter die Straßenflucht zurücktretende Gebäude in vornehmer Ruhe.“ Der Bau in der Nachbarschaft alter Palais und würdiger Kunsthäuser schien an der richtigen Adresse und ein würdiger „fast italienischer“ Nachfolge-Neubau des aus den Nähten geplatzten alten Abgeordnetenhauses in Schöneberg.

Geschichten wiederholen sich nicht: Die angezeigte „Ruhe“ des hinter Mauern verborgenen Baus erhielt 1961 einen anderen Sinn, als unmittelbar vor dem Landtagsgebäude eine zweite Mauer gezogen wurde. Das monumentale Haus mit Säulen, einer rustikalen Erdgeschoßzone und den leichten Obergeschossen versank an der Sektorengrenze in einen Dornröschenschlaf. Geschützt wurden von Maschendraht ausgebrannte schwarze Fensterhöhlen, Teile, in denen Birken wuchsen und Parkplätze für die Wachmannschaften der DDR-Grenztruppen.

Die Abgeschiedenheit des Ortes und die Ablagerungen der Geschichte sind indessen nur die Anmerkungen des Hauses, dessen Historie von steter Bewegung, immer neuen Nutzungen und Veränderungen geprägt war. Das einstige Haus für die zweite Kammer des Preußischen Landtags wurde von 1892 bis 1899 nach den Plänen Friedrich Schulzes errichtet. In den großen Kubus legte Schulze einen 950 Quadratmeter großen zentralen Plenarsaal mit 33 mal 33 Meter für 433 Abgeordnete. Um den Saal gruppiert lagen über vier Geschosse die Fraktions- und Abgeordnetenbüros. Ein Forum mit sakraler Repräsentanz stellte das Foyer des Preußischen Landtags dar. Zwei Freitreppen führten zu den Wandelhallen und schickten den Besucher auf eine ästhetische Reise räumlicher Inszenierungen. In Norden des im Stil eines Palazzos der Renaissance geplanten Hauses schloß sich über einen Verbindungstrakt das 1905 fertiggestellte Herrenhaus an.

Zwischen 1900 und 1920 wurde der Saal gleich mehrfach umgebaut. 1918 diente er als Bühne zum Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte, die hier die Wahlen zur Nationalversammlung beschlossen. 1934/45 wurde das Gebäude für die Sitzungen des Volksgerichtshofes umgebaut. 1936 verwandelte es Göring zum „Haus der Flieger“. Göring ließ das Haus entkernen, Malereien und den figürlichen Schmuck beseitigen und baute den Plenarsaal zur Kongreßhalle um. Den Saal überthronte eine riesige Stahlkuppel, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.

Umbauten und Umnutzungen prägten den Bau auch zu DDR- Zeiten. Der Preußische Landtag diente als Steinbruch für das Sowjetische Ehrenmal in Treptow. Die Räume wurden als Möbellager und Stasi-Horchanlage mißbraucht. 1979 sollte der Bau zur Gedenkstätte des Gründungsorts der KPD (1918/19) werden. 1981 wurde die Planung abgebrochen.

Dieser Wandel steht im Gegensatz zu den autoritären Gesten seiner Bewohner. Pikant in diesem Zusammenhang ist, daß der vorletzte Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Jürgen Wohlrabe, 1990 den Beschluß zum Umbau in der konsequenten Art einer rechten Mensur-Gesellschaft aus undemokratischen Herrenhauszeiten durchfocht: ohne das Einverständnis des Souveräns, ohne Vorplanung und ohne Kostensicherheit. Erst sollte der Umbau 40, dann 96 Millionen Mark kosten. Schließlich wurden bis dato 160 Millionen Mark ausgegeben.

Mit der DDR-Vergangenheit im Hause – 1949 rief Wilhelm Pieck die Gründung der DDR hier aus, 1952 tagte im ehemaligen Preußischen Landtag die Regierung Grotewohl, und ab 1961 beherbergte das Haus die Staatliche Planungskommission – räumte Hanna-Renate Laurin, Wohlrabes Nachfolgerin, auf rabiate Weise auf. Die Gedenktafeln und Büsten Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, die 1918 in diesen Räumen die KPD gründeten, verschwanden. Plakative Hinweisschilder sollen sie nun ersetzen. Die Erinnerung an die NS-Widerstandskämpferin Käthe Niederkirchner, die der angrenzenden Straße ihren Namen gab, sollte ebenfalls getilgt werden. Der Platz vor dem Abgeordnetenhaus heißt nun sinnigerweise „Platz vor dem Preußischen Landtag“.

Wenn am 28. April die 241 Berliner Parlamentarier in die über 300 geweißten Räume einziehen, werden sie einen wunderbaren Plenarsaal unter einem gläsernen Walmdach vorfinden. Doch in dem lichtdurchfluteten Forum wurden die Geschichten des alten Preußischen Landtags unter dem Glasdach verbaut. Die historischen Schichten und Ablagerungen verbarg der Berliner Architekt Jan Rave unter dem strengen Rund der Sitzreihen, dem schwer lastenden Besucherbalkon und besonders hinter den metallenen Windschaufeln und matten Hölzern der Wandverkleidung. Der Saal versteckt quasi sich selbst – und damit den alten Preußischen Landtag.