IRA-Anschläge in Londoner City

Ein Toter und 34 Verletzte bei zwei Explosionen im Finanzzentrum Bishopsgate / Sachschaden von einer Millarde Pfund / Streit zwischen Staat und Versicherungsgesellschaften  ■ Von Ralf Sotscheck

Während in Dublin am Wochenende ein Rockkonzert zugunsten einer neuen irischen Friedensinitiative stattfand, hat die IRA am Samstag erneut in Großbritannien zugeschlagen. Das Angriffsziel war diesmal das Londoner Finanzzentrum in Bishopsgate. Bei dem Anschlag wurden 34 Menschen verletzt. Der 34jährige Pressefotograf Edward Henty, der die Explosion aus der Nähe fotografieren wollte, wurde von der Bombe getötet. Der Sachschaden beträgt nach ersten Schätzungen eine Milliarde Pfund.

Die Organisatoren des Dubliner Konzerts waren enttäuscht, daß die IRA offenbar nicht bereit ist, von ihrer Taktik abzurücken, obwohl sie im März versprochen hatte, sich auf militärische Ziele in England zu konzentrieren. Damals waren bei einem IRA-Anschlag im nordenglischen Warrington zwei Kinder getötet worden. Die Eltern der beiden Kinder verbrachten das Wochenende in Dublin, um sich „bei der irischen Bevölkerung für das Mitgefühl“ zu bedanken, das ihnen in den Tagen nach dem Attentat entgegengebracht worden war. Die Friedensinitiative, die daraus entstanden war, hat inzwischen jedoch an Momentum verloren. Das Dubliner Konzert am Samstag war trotz des erneuten IRA-Anschlags äußerst schwach besucht.

In einem LKW, der zwischen zwei Bankhochhäusern geparkt war, hatte die IRA mehr als eine Tonne aus Düngemitteln hergestellten Sprengstoff sowie einen Kern aus hochexplosivem Semtex- Sprengstoff plaziert. Nach dem Desaster von Warrington, das der IRA auch scharfe Kritik aus den eigenen Reihen eingebracht hatte, gab die Organisation diesmal 40 Minuten vor der Explosion eine telefonische Warnung durch und wiederholte sie zehn Minuten später. Beide Male benutzte der Anrufer ein zwischen Polizei und IRA verabredetes Codewort und gab den genauen Standort des Lastwagens an. Dennoch gelang es der Polizei nicht, die Gegend rechtzeitig zu räumen, viele Menschen wurden durch Glassplitter verletzt.

Die massive Explosion, die einen fünf Meter tiefen Krater im Boden hinterließ, hat Bishopsgate praktisch in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Das 52stöckige Gebäude der National Westminster Bank und die gegenüberliegende Hongkong-Bank wurden so schwer beschädigt, daß die Gebäude möglicherweise abgerissen werden müssen. Im Umkreis von einem halben Kilometer wurden die Fensterscheiben zerstört, die St.-Ethelburga-Kirche und die Bevis-Marks-Synagoge, die älteste Großbritanniens, erlitten ebenfalls Sachschaden.

Der Anschlag kam für die Polizei freilich nicht überraschend. Hinweise des Geheimdienstes MI-5 hatten dazu geführt, daß die Polizei vor einer Woche die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt hatte. Rund um die Londoner Innenstadt wurden regelmäßig Straßensperren errichtet, um die IRA zu verunsichern — so auch Freitag nacht. Doch Augenzeugen berichteten, daß der LKW mit der Bombe erst am Samstag vormittag in der Innenstadt geparkt wurde. „Ein Angriff dieser Art war ziemlich wahrscheinlich“, sagte ein Sprecher der Polizei. „Wir wußten, daß die IRA die Anschläge in England als einzige effektive Möglichkeit ansieht, um den politischen Druck aufrechtzuerhalten.“

Die britischen Versicherungsgesellschaften haben nach der Serie von Anschlägen gestern erneut gefordert, daß die Regierung die Rechnung bei Schäden durch terroristische Anschläge übernimmt. Während der Staat in Nordirland für die Schäden aufkommt, hatte sich die Regierung geweigert, das entsprechende Gesetz auch auf Großbritannien auszudehnen. Die Versicherungsgesellschaften lehnten es deshalb ab, das Londoner Finanzzentrum gegen Anschläge zu versichern. Im Dezember handelte Industrieminister Michael Heseltine einen Kompromiß aus: die Regierung übernimmt seitdem 90 Prozent der Schäden, während die restlichen zehn Prozent aus einem gemeinsamen Topf der Versicherungen gezahlt werden. Der Topf muß mindestens 300 Millionen Pfund enthalten. Das Geld dafür dürfen die Versicherungen von ihren Kunden eintreiben, die sich nur durch teure Sonderverträge gegen Bombenschäden absichern können. Experten rechnen damit, daß diese Prämien nach den Anschlägen vom Samstag um 30 bis 40 Prozent steigen werden.

In der Nacht zum Sonntag kam es zu zwei weiteren Anschlägen in London. In beiden Fällen hatten bewaffnete IRA-Mitglieder den Taxifahrern befohlen, ihre Autos mit den Bomben an Bord in der Downing Street beziehungsweise vor Scotland Yard abzustellen. Nachdem die IRA-Männer ausgestiegen waren, stellten die Taxifahrer ihre Wagen jedoch am Straßenrand ab, wo sie explodierten und geringfügigen Sachschaden anrichteten.