Blüm vor dem Scheitern

■ Arbeitsminister will die Pflegeversicherung „durchkämpfen“

Bonn (AP) – Der Streit zwischen CDU/CSU und FDP, aber auch innerhalb der CDU um die Pflegeversicherung hielt am Wochenende an. Kernpunkt ist der Ausgleich der den Arbeitgebern entstehenden Kosten. Bundesarbeitsminister Norbert Blüm gestand ein, daß es ihm nicht gelungen sei, in Gesprächen mit Sozialpartnern und Ländern eine einvernehmliche Lösung zu erzielen. Nun müsse die Koalition die Kompensation „im Streit durchkämpfen“. Er wolle die den Arbeitgebern entstehenden Kosten durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen, erklärte Blüm, nannte aber keine Einzelheiten.

Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff, der am Mittwoch die Pflegeversicherung wegen der fehlenden Kompensation und der verschlechterten Wirtschaftslage für in dieser Legislaturperiode gescheitert erklärt hatte, bekräftigte seine Kritik. Ihm sei bekannt, daß dem Bundesarbeitsminister ein versicherungsmathematisches Gutachten vorliege, wonach der vorgesehene Beitrag von 1,7 Prozent vom Bruttolohn zur Finanzierung nicht ausreiche. Er forderte Blüm auf, dieses Gutachten umgehend zu veröffentlichen. Lambsdorff sagte, die Streichung eines Feiertags sei mit den Ländern nicht machbar. Aber auch Kürzungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall lehnte er wegen des zu erwartenden Widerstands der Gewerkschaften ab. Zugleich deutete Lambsdorff die Möglichkeit eines Stufenplans an. Es gehe jetzt aber nur um erste sinnvolle und realisierbare Schritte; Lösungen auf einen Schlag werde es nicht geben.

Der FDP-Kritik schloß sich inhaltlich der CDU-Abgeordnete Friedhelm Ost, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, an. Der CDU-Politiker Dankward Buwitt, stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses, meinte, es werde „sehr schwierig, die Pflegeversicherung noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden“. Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Adolf Roth, bezweifelte, daß der geplante Termin 1. Januar 1996 für die Einführung der neuen Sozialversicherung zu halten sei.

Bundeskanzler Kohl hatte am Freitag auf dem Bundeskongreß der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung betont, daß die Pflegeversicherung noch in dieser Legislaturperiode geschaffen werde. Die Wirtschaft werde dabei aber nicht weiter belastet, eine Steigerung der Lohnnebenkosten müsse ausgeschlossen sein.

Der CDU-Abgeordnete Heinz Schemken brachte jetzt wechselnde Mehrheiten ins Spiel: Wenn die FDP nicht mitmache, „braucht sie sich nicht zu wundern, wenn wir diese für die älteren Mitbürger schicksalhafte Frage im Bundestag und im Bundesrat mit der SPD erledigen“. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) sprach sich indirekt für die Freigabe der Abstimmung im Bundestag aus. Wie bei der Abtreibungsregelung gehe es um eine Gewissensentscheidung.

Die Arbeitgeber befürworteten dagegen einen Verzicht auf die Pflegeversicherung als „einzig richtige Reaktion auf die veränderte Lage in Deutschland“. Daimler-Benz-Vorstandschef Edzard Reuter sagte, er habe bisher niemanden gefunden, der erklären könne, weshalb die Lösung dieses Problems nicht noch einmal drei bis fünf Jahre Zeit habe.