Eine Million machen Clinton Druck

■ Lesben und Schwule demonstrierten in Washington für juristische Gleichstellung / "Wir kommen von draußen, um unseren Platz einzunehmen" / Der US-Präsident schickte eine Grußbotschaft

Washington (wps) – Es war eine der größten Demonstrationen für BürgerInnenrechte in der Geschichte der USA: Rund eine Million Lesben und Schwule zogen am Sonntag nachmittag bei schönem Sommerwetter durch das politische Zentrum Washingtons und forderten ihre rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung. Viele RednerInnen verglichen das Ereignis mit dem historischen Bürgerrechtsmarsch von 1963 und betonten, daß Lesben und Schwule dreißig Jahre später der letzte Teil der Gesellschaft seien, der nach wie vor noch juristisch diskriminiert wird. „Wir kommen von draußen, um unseren Platz am Tisch einzunehmen“, sagte Torie Osborn, der Geschäftsführer des Verbandes der Schwulen und Lesben in den USA. „Wir sind die neuen amerikanischen Flüchtlinge, die aus dem Exil heimkehren.“

Die Demonstration, die mittags anfing und bis in den Abend dauerte, bot ein sehr gemischtes Bild: Während die einen ernst und feierlich für ihre Sache auf die Straße gingen, veranstalteten andere eine Art eintägiger Party. Fantasievoll gekleidete Transvestiten, Paare in Hochzeitskleidung, Männer und Frauen mit nacktem Oberkörper mischten sich mit eher konventionell gekleideten GesinnungsgenossInnen in allen Altersgruppen und Hautfarben.

Einmal die Mehrheit zu stellen, war für viele ein Erlebnis für sich. „Es ist wunderbar“, sagte eine 45jährige Computerspezialistin aus Delaware, „hier sind mehr Leute als im Staat Deleware leben, verstehen Sie?“ Eine Anwältin aus Pittburgh, die mit ihren beiden Kindern angereist war, zeigte sich ähnlich überwältigt: „Überall, wo man hingeht, Restaurants, Hotels und Straßen, sind voller Lesben und Schwuler. Das macht einem viel Mut.“

Kleinere Gegenkundgebungen gingen in der Menge unter: Religiöse Gruppen, die die DemonstrantInnen aufforderten, angesichts der „Sünde der Homosexualität“ Reue zu zeigen, blieben an diesem Tag ebenso isloliert wie Gruppen, die gegen die Absicht von Präsident Bill Clinton protestierten, den Bann gegen Lesben und Schwule im Militär aufzuheben.

Einen Wermutstropfen gab es dann doch: Der prominenteste Gast, auf dessen Anwesenheit viele gehofft hatten, blieb fern: Clinton, der im Wahlkampf um die Stimmen von Lesben und Schwulen geworben hatte, weilte an diesem Tag nicht in Washington. Statt dessen schickte er eine Grußbotschaft, in der es hieß: „Ich stehe euch im kampf für die Gleichheit aller Amerikaner, einschließlich der homosexuellen Männer und Lesbierinnen, bei.“ Gleichzeitig sicherte er zu, einen neuen Aids-Koordinator zu ernennen, um die gesundheitliche Versorgung von HIV-Positiven zu verbessern und ein Programm auszuarbeiten, mit dem die weitere Verbreitung der Krankheit bekämpft werden soll.

Das reichte Jesse Jackson, dem Führer der Bürgerrechtsbewegung, nicht aus. „Leute, die ihr gewählt habt, fliehen aus der Stadt“, sagte Jackson in seiner Ansprache zu den DemonstrantInnen und rief ihnen zu: „Keine Homophobie mehr! Laßt uns die Leute respektieren und schützen. Jeder ist jemand.“

Die Demonstration vom Sonntag war der Höhepunkt einer Aktionswoche der organisierten Lesben- und Schwulenbewegung, um für das Recht auf ihre Lebensweise, die juristische Gleichstellung sowie mehr Geld für die Aids- Forschung und eine verbesserte Versorgung von Infizierten zu streiten. Gleichzeitig sollte die Demonstration auch den Druck auf die Clinton-Administration verstärken, die Versprechungen aus den Zeiten des Wahlkampfes auch einzuhalten.