Osteuropabank nervt ihre Geldgeber

Jacques Attali, Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, tritt weniger als seriöser Banker, denn als Anwalt für die osteuropäischen Länder auf  ■ Aus London Kathrin Singer

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) hat für gestern und heute zur Jahrestagung ihres Gouverneursrates nach London gerufen, und findige Financial-Times-Reporter haben sie aus diesem Anlaß mit einem scharfen Skandälchen in die Schlagzeilen gebracht. Das Gebäude der Bank im Herzen der Londoner City sei zu protzig, der Selbstverwaltungsaufwand zu groß. Eine für das Londoner Wirtschaftsblatt „bemerkenswert kleinkarierte Kampagne“, wie die gleichfalls renommierte Neue Züricher Zeitung verwundert notierte. Denn über die Arbeit der Osteuropabank gibt es durchaus Berichtenswertes.

Zum Beispiel über den Lernprozeß, den die Institution seit ihrer Gründung durchlaufen hat: von jener wundersamen Euphorie der Bankpolitiker, mit der sie anfangs annahmen, mit Banken könne Osteuropa auf sanfte Art in die Marktwirtschaft geleitet werden, bis zum heutigen Eingeständnis, man habe damals die Probleme der osteuropäischen Wirtschaften einfach unterschätzt.

Mit solcherart Fehleinschätzungen hing es zusammen, daß die Hauptaktionäre der Osteuropabank – die USA mit zehn Prozent, Deutschland, Frankreich, England, Italien und Japan mit jeweils 8,5 Prozent des Kapitals – keine ausgesprochene Entwicklungsbank etwa nach dem Vorbild der Asienbank konzipierten, sondern festlegten, daß die Bank bei allen Geschäften „nach gesunden Bankgrundsätzen“ verfahren und bei Krediten streng auf eine 60 : 40-Relation zugunsten des privaten Sektors gegenüber dem staatlichen achten werde. Auch der Leiter der sowjetischen Abordnung begrenzte damals jedes Interesse der UdSSR an Mitteln der Bank auf drei Jahre und erklärte, daß „der Gesamtbetrag der von der Bank gewährten Unterstützung den von der Sowjetunion für ihre Anteile gezahlten Gesamtbetrag in Barmitteln und Schuldscheinen nicht übersteigen“ solle.

Zwei Jahre Arbeit – die Bank hat in dieser Zeit Kredite für 88 Projekte in osteuropäischen Ländern mit einem Gesamtvolumen von rund vier Milliarden DM bewilligt — haben die Euphorie kleiner und den Realismus größer werden lassen: Wie den Schwerpunkt aufs Privatisierte legen, wenn die Privatisierung erst langsam in Gang gekommen ist? Wie Staatsgarantien für Projekte im Entwicklungsbereich fordern, wenn die Staaten bereits hochverschuldet sind und neue Schuldverpflichtungen den Prinzipien von Internationalem Währungsfonds und Weltbank widersprechen? Wie effizient Geld ausbezahlen, wenn die dafür nötige Infrastruktur überhaupt noch nicht existiert?

Was die Nehmerländer auf der Jahrestagung des Gouverneursrats kritisieren, kann jeder vestehen, der gerade an einer ABM-Verlängerung bastelt: daß das Geld zu langsam fließt, daß die Beantragungsverfahren zu kompliziert sind und daß es einfach noch nicht genügend Neuunternehmer gibt, die in der Lage wären, sich durch den Wust der Bestimmungen hindurchzuarbeiten. Die Bank wird geltend machen, daß durch ihre Kredite immerhin ein Gesamtkapitalvolumen von 15,43 Milliarden DM mobilisiert worden ist, daß von den vier Milliarden bewilligten DM bereits 387 Millionen bei den Empfängern angekommen sind und daß es keiner anderen Einrichtung so gut wie ihr selbst gelungen ist, Ost- und Westunternehmen zusammenzubringen.

Und sie wird ihren Präsidenten Jacques Attali ins Feld führen, den in den letzten Tagen so sehr skandalgebeutelten, der es liebt, überraschend vorzupreschen. So nervt er die Westländer mit seiner beharrlich vorgetragenen Forderung, ihre Märkte für Waren aus Osteuropa zu öffnen. Und nach einer Begegnung mit russischen Autoritäten forderte er öffentlich, über einen generellen Schuldenerlaß für Rußland und Osteuropa nachzudenken. Ist das ein „gesunder Bankgrundsatz“? Wohl viel schlichter: gesunder Menschenverstand.