„Seelisch bin ich schon fertig“

■ Sechs Monate zur Bewährung für türkischen Familienvater

„Sie waren überanstrengt, haben in mehreren Schichten gearbeitet, fühlten sich von der Familie ausgenutzt und nicht richtig behandelt, außerdem hat Ihre Tochter Sie provoziert“, erläuterte Hilka Robrecht, die vorsitzende Richterin der mit drei Frauen besetzten Zweiten Großen Strafkammer, die Umstände, unter denen Abdullah Y. seine Tochter bei einem handgreiflichen Familienstreit fast erwürgt hatte ( vgl. taz v. 24.4.1993). „Das alles rechtfertigt nicht, daß jemand in so massiver Weise gegen ein, bzw. gegen sein Kind vorgeht“, betonte die Richterin in der Urteilsbegründung.

Den Vorwurf des „versuchten Totschlags“ erhielt das Gericht nicht aufrecht, wohl aber schwere Körperverletzung: „Dies muß bestraft werden“, erklärte Richterin Robrecht und verkündete sechs Monate Haftstrafe, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden. „Ihre Probleme sind dadurch aber nicht beseitigt“, die seien im Gegenteil durch die Untersuchungshaft noch vergrößert worden, bekannte das Gericht. Abdullah Y. wird deshalb für die nächsten zwei Jahre ein Bewährungshelfer an die Seite gestellt, um „jemanden zu finden, mit dem Sie und Ihre Frau Probleme besprechen und aufarbeiten können“, so die Auflage.

Schon am ersten Verhandlungstag hatte sich die Richterin danach erkundigt, ob es in Bremen türkische Sozialpädagogen gäbe, die sich der offensichtlichen Probleme der Familie annehmen könnten. Abdullah Y., seit 1967 in Deutschland, fühlte sich permanent ungerecht behandelt, erklärte dem Gericht, in Deutschland auch keine Gerechtigkeit mehr zu erwarten. Nach einem Arbeitsunfall traumatisiert, hatte er auch zu Ärzten und Therapeuten kein Vertrauen mehr.

Innerhalb der Familie gab es zunehmend kulturelle Konflikte: Die Ehefrau nahm die Pille, verweigerte sich ihrem Mann, die Kinder akzeptierten den Vater nicht und als die 15jährige Lieblingstochter A. sich in einem gewalttätigen Streit auf die Seite der Mutter schlug, drehte er durch. Abdullah Y.'s Verteidiger Warner Berghaus plädierte dennoch auf Freispruch: Weil wir uns in eine türkisch-moslemische Familie, in der „der Vater das absolute Sagen“ hat, nicht „vollständig hineinversetzen“ könnten.

Als dem Angeklagten das letzte Wort erteilt wurde, sagte er: „Seelisch und nervlich bin ich schon fertig. Es gab Probleme — aber ich habe nicht versucht, meine Tochter zu töten.“ ra