: Mit dem Auto in die Klimakatastrophe
■ Grüne und Umweltverbände kritisieren Berlins künftige Energiepolitik / Um Energie zu sparen, müßten Straßen "rückgebaut" werden, doch Umweltverwaltung will sich mit Verkehrssenator nicht streiten
Berlin. Berlins Verkehr bläst Jahr für Jahr über fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre – und zählt in Berlin damit zu den wesentlichen Verursachern des sogenannten Treibhauseffekts. Obwohl Berlin sich mit dem Beitritt zum Klimabündnis verpflichtet hat, den jährlichen Ausstoß des klimarelevanten Gases – 1990 insgesamt 31 Millionen Tonnen – bis zum Jahr 2010 um die Hälfte zu reduzieren, will die Umweltverwaltung mit dem „Verursacher Verkehr“ äußerst schonend umgehen. Sie sieht in ihrem Energiekonzept nur eine Einsparung von sechs Prozent vor. Auf einer Veranstaltung der Verwaltung am vergangenen Montag, an der rund 90 Vertreter aus Politik und Wirtschaft sowie von Umweltverbänden und Verkehrsinitiativen teilnahmen, kritisierten letztere dieses Ziel scharf.
Zu Beginn der Veranstaltung betonte Staatssekretär Lutz Wicke (CDU), daß Berlin mit einer angepeilten CO2-Einsparung von insgesamt einem Viertel gegenüber anderen Städten eine führende Position einnehme. Das Ziel einer Halbierung sei nicht erreichbar. Den schonenden Umgang mit dem Verkehrssektor begründete Wicke mit der prognostizierten Zunahme des Autoverkehrs. Für eine Einsparung von sechs Prozent Kohlendioxid seien bereits erhebliche Anstrengungen nötig.
Doch auf der „Fachveranstaltung CO2-Reduzierung im Verkehrssektor“ stellte sich schnell heraus, daß die Umweltverwaltung gar keine einschneidenden Veränderungen in der Verkehrspolitik durchsetzen will. Auf die Kritik der Bürgerinitiative Westtangente, daß im Energiekonzept konkrete Vorschläge für den Verkehrsbereich fehlten, antwortete Staatssekretär Wicke, daß für einen Rückbau von Straßen die Umweltverwaltung nicht zuständig sei. So erübrigte sich auch die Forderung von Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher des Bündnis 90/ Grüne, alle größeren Straßenbauprojekte zu streichen.
Wicke ließ auf solche Vorschläge lieber die Verkehrsverwaltung antworten. Der Wirtschaftsverkehr müsse aufrechterhalten werden, sagte Abteilungsleiter Christian Lotze. Über eine Zurückstellung geplanter Autobahnneubauten oder über den Rückbau von Straßen lasse man mit sich deshalb gar nicht reden. Außerdem müßten die Verhältnisse im Ost- und Westteil der Stadt erst noch „gleichgemacht“ werden. Womit Lotze meinte, daß die Zahl der Autos in Westberlin nicht auf den geringeren Pro-Kopf-Anteil im Ostteil vermindert werden soll, sondern umgekehrt. Die Industrie und Handelskammer schlug in die gleiche Kerbe: Alle verkehrlichen Maßnahmen, die den Wirtschaftsverkehr beeinträchtigen, würden nicht akzeptiert.
Die BI Westtangente verstand nach diesen Stellungnahmen den Umweltstaatssekretär nicht mehr. Nach deren Ansicht habe die Umweltverwaltung festzulegen, wieviel Abgase in dieser Stadt ausgestoßen werden dürfen. Die Verkehrsverwaltung habe diesen Vorgaben entsprechend eine Verkehrspolitik zu entwickeln. Berger sprach sich gleich für die Auflösung des Verkehrsressorts aus, weil diese Verwaltung Energiesparen unmöglich mache.
Doch das hörte Wicke schon nicht mehr. Der Staatssekretär hatte die über vier Stunden dauernde Veranstaltung bereits nach der Hälfte der Zeit verlassen – er fuhr mit einem grün-metallic-farbenen BMW davon. Dirk Wildt
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