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■ Das PortraitHans Sahl

Als Hans Sahl vor ein paar Jahren hochbetagt aus New York nach Deutschland zurückkehrte, tauchte in den verspäteten Würdigungen immer wieder die Geschichte einer folgenreichen Verweigerung auf. Im Pariser Exil hatte Sahl Manès Sperber, der damals noch für die kommunistische Sache glühte, einen Korb gegeben, als dieser ihn für eine Kampagne gegen den Antistalinisten Leopold Schwarzschildt zu gewinnen versuchte. Schwarzschildt hatte die Moskauer Prozesse als blutige Farce erkannt. Während das Gros der Linken sich auf die Seite Stalins schlägt, kündigt Hans Sahl alle Koalitionen und sagt nein – ein Vereinzelter, der für den einzelnen eintritt. Ein Jasager war Sahl nie, und als heroischen Neinsager hat er sich nie stilisieren wollen; freimütig hat er sich einmal als im Grunde feigen Menschen bezeichnet. Sich darüber nicht getäuscht zu haben ist allerdings im Zeitalter der auftrumpfenden Feiglinge kein geringes Verdienst.

Hans Sahl gehörte zu der kleinen Gemeinde der Vielleichtsager, die sich von den Wahrheitsfanatikern, die dieses Jahrhundert in Blut getaucht haben, nicht das Unterscheidungsvermögen haben abhandeln lassen: Tatsachen sind etwas anderes als Meinungen. Wer hier relativiert, wußte er, bereitet der Inhumanität den Boden. Zwischen den Ideologen stand Sahl für eine Haltung der Unentschiedenheit aus Genauigkeit. Er fand spät in seinem Leben selber dafür die folgenden Worte: „Oh die Wahrheit zu wissen, bevor sie / allgemein wird, / Erhier Foto Nr. 2

Foto: Birgit Kleber

tragen die lange Schweigepflicht, / bis alle aussprechen, / was dir zu sagen / so schwer fiel, / bis die Wahrheit in aller Munde ist / Und dadurch / schon wieder fragwürdig geworden ist / und beinahe falsch.“

Erstaunlich genug, daß Hans Sahl nicht darüber verbitterte, daß seine Anerkennung in Deutschland vor allem deshalb so spät kam, weil man hier über der Bewältigung des Nationalsozialismus diejenigen vergaß, die mit Hitler auch Stalin als Herausforderung ihrer moralischen Integrität angenommen hatten. Die Öffentlichkeit hat ihn erst nach der Wiedervereinigung wahrgenommen. Hans Sahl, Lyriker, Erzähler, Dramatiker, in Dresden geboren und nach langer Odyssee in New York heimisch geworden, letzter Zeuge des Exils, ist am Dienstag im Alter von 90 in Tübingen gestorben. Jörg Lau

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