■ Kritische Bemerkungen zur Unabhängigkeit Eritreas
: Schattenseiten eines Musterstaates

Es gibt gute und böse Länder. Eritrea war immer gut. 30 Jahre kämpfte es den guten Kampf. Nun hat es die Siegespalme errungen. Zuerst den militärischen Sieg (1991) und nun die Zustimmung des Volkes zur Loslösung von Äthiopien. Jedermann gönnt den drei Millionen Eritreern den Erfolg. Einen eigenen Staat werden sie nun haben. Einen armen Staat, mit einer vergleichsweise großen und darum sehr teuren modernen Armee, gut 100.000 bestens ausgebildete und ausgerüstete KämpferInnen. Eritrea wäre das staatsähnlichste Gebilde in Afrika, sagten afrikanische Politiker schon vor zehn Jahren. Alles wäre herrlich: Infrastruktur, Gesundheits- und Bildungswesen, Waffenindustrie — vorbildlich. Ein vielgeliebter Staat, der musterhaft die Idee des Nationalstaats von Europa gelernt hat. Darum wird dieser junge Musterstaat Hilfe in reichem Maße aus Europa erhalten. Und von Israel. Israel freut sich natürlich über einen säkularen oder vielleicht gar christlichen Staat an der langen Westküste des Roten Meeres, das sonst nur von arabischen und meist stark islamischen Staaten gesäumt ist. Ein Brückenkopf des Westens und der Demokratie.

Der Demokratie? Vorerst gilt als ausgemacht, daß es beim Einparteiensystem bleibt. Gravierender ist jedoch die Rolle des Führers der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF), Iseyas Afeworki, im Mai 1991, als die wichtigsten Rebellengruppen — die Guerillafronten der Eritreer, der Tigre und der Oromo — die Neuordnung Äthiopiens nach dem Sturz der Mengistu-Diktatur planten. Den Eritreern wurde damals das Recht auf Selbstbestimmung zuerkannt. Den Oromo nicht. Als im Juni 1992 die ersten Wahlen in Äthiopien stattfanden, auf Regionalebene, half die starke Militärpräsenz der EPLF in den Oromo-Siedlungsgebieten von Zentral- und Südäthiopien, mittels Mord, Entführung und Einschüchterung freie Wahlen zu verhindern. Iseyas Afeworki freut sich über das schöne Referendum in Eritrea. Im äthiopischen Oromoland hat er freie Wahlen ganz bewußt und massiv verhindert. Heute, wo im Oromoland die Intifada brodelt, braucht Äthiopiens Regierung eritreische Kampfeinheiten. Das große Heer der Eritreer muß zum großen Teil von den Oromos ernährt werden.

Im Jahre 1912 fragte der russische Dichter Andrei Biely: „Wie groß ist Frankreich?“ Die Antwort gab er selbst: „Sie kennen Frankreich nicht. Das europäische Frankreich ist der winzige Sprößling eines gigantischen Körpers, der in Afrika liegt ... das Größenverhältnis beträgt 1 zu 22.“ Die meisten heutigen Berichterstatter scheinen Eritrea nicht zu kennen. Der weitaus größere Teil liegt noch im Oromoland, der Kolonie der Amharen, Tigreer und Eritreer in Äthiopien. Gunnar Hasselblatt

Der Autor ist langjähriger Mitarbeiter des Berliner Missionswerkes.