Notenbankchef als letztes Aufgebot

In Italien ist der neue Regierungschef Carlo Azeglio Ciampi hochangesehen / Staatspräsident Scalfaro fällt um / Koalitionspartner sind noch offen / Opposition ist mehrheitlich verärgert  ■ Aus Rom Werner Raith

Die gute Nachricht zuerst: Neuer italienischer Regierungschef wird der bisherige Notenbankchef Carlo Azeglio Ciampi. Die schlechte Nachricht: Der bisherige Notenbankchef Carlo Azeglio Ciampi wird Italiens neuer Regierungschef.

Das Wortspiel erhellt die ganze Malaise der italienischen Wende: der Mann könnte eine neue Dimension im Regieren einleiten, doch da, wo er jetzt steht, wird er mindestens ebenso gebraucht. Der Genueser Ciampi, 73, den Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro am Montagabend mit der Bildung der 52. Nachkriegsregierung beauftragt hat, genießt im In- wie im Ausland allerhöchste Achtung. Er gilt als untadeliger und unerschrockener Spitzenbeamter, frei von allen parteipolitischen Rankünen und ohne auch nur den Hauch von Korruption in seinem feinen Neubarockpalast in der Via Nazionale Roms. Diese im Bereich der Notabeln des Landes nur noch selten vorhandenen Eigenschaften bieten nach Ansicht der Verfechter seiner Berufung die große Chance, dem ramponierten Ansehen der Republik wieder Auftrieb zu verschaffen – vor allem das geschwundene Vertrauen in die Italowirtschaft zu stärken.

Doch so einfach liegen die Dinge auch wieder nicht. Denn Ciampi ist in gewisser Weise das letzte Aufgebot des Landes. Was kommt, wenn auch er bei der Verfassungsreform, der Haushaltssanierung und der Aufarbeitung der Politskandale scheitert, kann nur noch der ganz große Kollaps sein. Verloren wäre dann nicht nur die allerletzte Gelegenheit zu dem von den Wählern mit überwältigenden Mehrheiten gewünschten Umbruch zu moderner Staatslenkung und -administration, das Land hätte auch noch jenen Mann verloren, der sein Amt als einzig intakte Bastion gegen den galoppierenden Absturz des nationalen Finanzsystems gehalten hat.

Ein auch nur einigermaßen präsentabler Nachfolger ist nicht in Sicht: Es war Ciampis ganz persönliches Ansehen, das seine Dienststelle so effizient gemacht hat. Eine Karriere, ganz und gar der Nationalbank gewidmet – nach der Promotion in Literaturwissenschaft sattelte er noch eine in Jurisprudenz drauf und trat dann schon mit 24 in die „Banca nazionale“ ein – und seit 1979 einer Präsidentschaft der Anstalt, die völlig neue Aspekte eröffnete: mutig nahm sich Ciampi das verlotterte Bankensystem vor und ließ Dunkelmännerinstitute wie die Mailänder „Banca Ambrosiano“ überprüfen, bis deren Machenschaften aufkamen und dadurch der Skandal um die Geheimloge „Propaganda 2“ aufflog. Wenig später wurde er zum unermüdlichen Ankläger dümmlicher oder unhaltbarer Regierungsentscheidungen und koppelte so die bis dahin stets sehr regierungsnah gehaltene Nationalbank immer stärker nach Art der deutschen Bundesbank von den Ministerien ab.

International denunzierte er ohne Rückhalt das Eindringen mafioser Gelder in den Finanzkreislauf und den Aktienmarkt und warnte – lange Zeit vergebens – seine Kollegen in den anderen EG- Ländern vor den Gefahren riesiger Schwarzgeldsummen im Falle großangelegter Spekulationen.

Als neuer Regierungschef will er, so er im Parlament wirklich eine Mehrheit erhält, auch recht ungewohnt vorgehen: Artikel 92 der Verfassung überträgt dem designierten Ministerpräsidenten ohne Einschränkung die Auswahl der Minister, und so will er sich sein Fachleutekabinett auch ganz und gar ohne die bisher üblichen Konsultationen mit den Parteichefs zusammenstellen. Marke: Ihr braucht mich ja nicht zu nehmen, gerne mache ich den Mist sowieso nicht (in der Tat mußte ihn der Staatspräsident lange drängen, bis er den Auftrag zur Regierungsbildung annahm).

Für die Parlamentsfraktionen ist Ciampi eine ziemlich harte Nuß. Das riesige Ansehen im Volk und sein erklärter Wille, seine und nicht der Parteien Ideen durchzusetzen, macht ihn in einer Situation sehr stark, wo ein ansehnlicher Teil der Parlamentarier und nahezu die gesamte Polit-Elite in böse Skandale verstrickt ist. Geradezu symbolisch ist da, daß gestern, am Tage, an dem Ciampi sein von Parteien abgekoppeltes Kabinett zusammenstellt, der Immunitätsausschuß über die Genehmigung zum strafrechtlichen Vorgehen gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, der wie kein anderer für das zusammenbrechende System steht, beschließen muß.

Auf die internationale Szene hat Ciampis Berufung wie ein befreiendes Signal gewirkt. Rapide sind Lira und Aktienindex in die Höhe geschnellt – mehr als dem neuen Mann eigentlich recht sein sollte. Eine Erholung der Lira bedeutet zwar neugewonnenes Vertrauen, das Italien bitter nötig hat, doch gleichzeitig erschwert es den Export, und genau auf den setzt die Wirtschaft derzeit am meisten.

Die Töne aus dem Parlament sind daher zunächst gemessen und leise: die bisherigen Regierungsparteien Christ- und Sozialdemokraten, Liberale und Sozialisten haben schon erkennen lassen, Ciampi zunächst als eine Art Kröte zu schlucken. Die vor zwei Jahren aus dem Kabinett Andreotti ausgetretenen industrienahen Republikaner wollen ihn unterstützen, ist der Mann doch erste Wahl auch der Manager und Großunternehmer. Die größte Oppositionspartei „Partito democratico della sinistra“ (PDS) übt sich noch im Abwägen, wird womöglich „wohlwollende Neutralität“ wählen. Die meisten kleineren Gruppen haben sowieso all ihre Arbeit auf baldige Neuwahlen ausgerichtet und werden alle Bewegungen mit dieser Optik messen.

Interessant wird die Haltung der oberitalienischen „Ligen“ sein – sie hatten noch am Vortag getönt, es werde gewaltigen Krach geben, wenn nicht der von ihnen favorisierte „Democrazia cristiana“-Dissident, Mario Segni, Leiter des vorige Woche bei den Volksabstimmungen so erfolgreichen „Paktes für die Reformen“, Regierungschef wird. Außerdem mißtrauen sie Ciampi mit seiner zentralistischen Führungsidee.

Den unglücklichsten Eindruck machte vor allem einer: Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro. Obwohl er es war, der den Notenbankpräsidenten schließlich für den Auftrag keilte, mußte der Staatschef eines seiner heiligsten Prinzipien verletzen, die „Prärogative des Parlaments“: seit er vor einem Jahr zum Oberhaupt gewählt wurde, erklärte er ein ums andere Mal, daß Regierungschefs „aus der Mitte der vom Volk gewählten Parlamentarier“ zu holen seien – und nun blieb ihm, nachdem sich die Parteien mit ihren Kandidaten wieder einmal alle gegenseitig blockiert haben, nur der Weg, einen Mann, der noch nie dem Parlament angehört hat und der auch nie einen vom Volk abgestimmten Posten eingenommen hat, zu beauftragen.

Vielleicht muß freilich auch Ciampi schon bald ein Prinzip brechen: da kein geeigneter Nachfolger für ihn als Gouverneur der „Banca centrale“ bereitsteht, drängen ihn seine Ratgeber, das Amt auch neben dem des Regierungschefs weiter zu behalten – schon als Signal gegenüber dem Ausland, daß es mit dem Stabilitätskurs weitergeht. Das aber wäre genau die Rücknahme dessen, wofür er sein Leben lang gekämpft hat, die absolute Autonomie der Notenbank von der Regierung.