»Frau Seles mag keine Zuschauer«

Steffis Milch-Shake-Spurt, Arantxas Kaffeestündchen, Monicas Macke und andere Episoden vom  ■ Rothenbaum

Ruhig ist es rund um den Sitz des Deutschen Tennisbundes. Das Gebäude sieht aus wie ein Schiff und gleicht allzu vielen Hanseatischen Neubauten, die derzeit äußerst bemüht Originalität für sich beanspruchen.

Es ist neun Uhr. „Guten Morgen“, wünschen die Kartenkontrolleure am Eingang freundlich und sind froh, in ihrem Leihzwirn (Kaution: 400 Mark) noch nicht zu schwitzen. Stefanie Graf und ihr Schweizer Coach Heinz Günthardt haben gerade die zweite morgendliche Trainingseinheit begonnen. Die Atmosphäre wirkt durchaus entspannt.

Das weiß bekittelte Küchenpersonal säumt, die Kameras im Schoß, den 12 000 ZuschauerInnen fassenden Centre-Court, Gäste sind noch keine da. Die Gitter an den Aufgängen werden schnell noch einmal geschweißt und nachgestrichen. In dreieinhalb Stunden stehen sich hier Arantxa Sanchez- Vicario und Beate Reinstadler gegenüber.

Die Weltranglistenzweite und ihr Trainer kommunizieren kaum verbal, hier ein „Powerstart“, dort ein „Milch-Shake-Spurt“ sind Codes, die mit den Bällen über das Netz fliegen. Frau Graf korrigiert sich unaufhörlich selbst, sie braucht die Anmerkungen des Coaches nicht, um festzustellen, daß ihre Bälle zu lang kommen. Dieser konzentrierte Minimalismus nimmt die Anwesenden gefangen, die Arbeitsgeräusche werden des öfteren durch ein leises „Mann, Mann, Mann, hast du das gesehen?“ der Vorjahressiegerin aus Brühl unterbrochen.

Ganz anders tritt die andere Vorjahresfinalistin Arantxa Sanchez-Vicario auf, die um zehn Uhr bereits ausgesprochen ausgeschlafen wirkt und ob des angenehm vertrauten Wetters hocherfreut den roten Sand betritt. Dehnübungen und Warmtraben — davon scheint die Spanierin nicht besonders viel zu halten.

In Fahrt kommt die 21jährige erst nach den ersten „fantastico“, die ihr Trainer Carlos Kirmayr anerkennend über das Netz schickt. Ständig kommt Arantxa mit ihrem Coach, der früher Gabriela Sabatini auf Trab gebracht hat, am Netz zur Beratung zusammen. Die beiden nehmen sich Zeit, fast so als lehnten sie einen Espresso trinkend und Passanten musternd an einem kühlen Marmortresen in heimischen Gefilden.

Abgerundet wird die Szenerie durch Marisa Sanchez, der Mutter der Weltranglistendritten. Im gelben Kostüm, Arme und Hals reichlich goldgeschmückt und begleitet von Yorkshire-Terrier Roland verfolgt sie, mitunter kommentierend, wie ihre Tochter mit wuchtiger, beidhändiger Rückhand den drahtigen Trainer zum Schwitzen bringt. Nein, „agua“ will sie jetzt noch nicht, erst später, „despues“. Immer wieder zupft die untersetzte Spielerin zirpend an ihrer Schlägerbespannung, kein Zeichen von Nervosität, sondern ein Mittel zur notwendigen Konzentration des Blicks.

Monica Seles, vorab beschimpftes Entfant terrible der internationalen Tennisszene, praktiziert auf einem kleineren, etwas abseits gelegenen Platz des Rothenbaum-Geländes ihren Lieblingssport. Die Treppen erklimmend vernimmt man bereits das charakteristische Stöhnen der Weltranglistenersten, welches — Böswillige behaupten dies jedenfalls unaufhörlich — allein zur Irritation der jeweiligen Gegnerin gut ist. Auf der obersten Treppenstufe angekommen weist der Finger eines Ordners abwärts: „Frau Seles mag keine Zuschauer.“ Claudia Thomsen