■ Kolumne
: Glück und Qual ein Zwillingspaar?

1von Detlef Diederichsen

å Neulich, in einer dieser „für die Jahreszeit zu warmen“ lauen Aprilnächte, wurde ich in der Kneipe (besser gesagt: vor der Kneipe) mal wieder mit meiner NDW-Vergangenheit konfrontiert: „Endlich ist es Frühling/ endlich nicht mehr kalt/ und alle jungen Menschen/ finden ihr Glück schon bald“, wurde mir ins Gesicht zitiert (dessen zunehmende Rotfärbung aufgrund der schlechten Beleuchtung glücklicherweise von niemand bemerkt wurde).

Nun könnte man ja sagen: Na, was denn? Dieser Text hat doch recht: Nicht anders als die Grünpflanzen auf jedermanns Fensterbank stehen die jungen Menschen in diesen frühgeborenen Mainächten voll im Saft, balzen bis Blut kommt, lassen ihren Hormonen freien Lauf und finden ihr „Glück“. Das Ergebnis zeigt sich jeden Tag auf der Straße: Pärchen. Auf Fahrrädern, an öffentlichen Plätzen, in offenen und geschlossenen PKWs, ja sogar am Arbeitsplatz wendet man sich plötzlich einander zu!

Als alterndem Single geraten mir diese Formulierungen natürlich nicht ohne Grund eine Spur zu ironisch. Der geübte Zwischen-den- Zeilen-Leser spürte wahrscheinlich schon vor fünfhundert Zeichen, daß Neid im Spiel ist. Doch hat der auch seine Grenzen. Schaue ich aus meinem Golf in andere neben mir auf Grün wartende Autos, sehen die darin sitzenden Paare meistens nicht nach „Glück“ aus. Eher so, als hätten sie beide gerade, jeder für sich, mal wieder festgestellt: „Du kannst mich nicht verstehen.“ Oder warum kneifen sie die Lippen so zusammen? Vermeiden bei unvermeidbaren kurzen Satzbrocken (ich tippe mal auf: „Fahr doch!“, „Da ist kürzer!“, „So ein Idiot!“ etc.) jeden Augenkontakt?

Da fällt mir der Titel eines schönen Country-Songs ein: „In Every Dream Home A Heartache“. Bzw.: Es könnte auch Burt Bacharachs Texter Hal David gewesen sein, der sich ja in vielen Titeln als brillanter Analytiker des Upper-Middle-Class-Lebens der swingenden 80er hervorgetan hat; etwa in dem von Dionne Warewick aufgenommenen Song „Paper Maché“: „Can we be living in a world made of paper maché/ everything is clean and so neat/ anything that's wrong can be just wiped away/ spray it with Cologne/ and the whole world/ smells sweet/ there's a sale on hapiness/ you buy two and it cost less“.

Ja Hal David. Es könnte aber wie gesagt auch ein C&W-Song sein, George Jones, Tammy Wynette, Loretta Lynn, Charlie Rich und viele andere singen in ihren Songs darüber wie es in amerikanischen Wohnzimmern wirklich zugeht, wie schöne Träume immer wieder an tristen Alltagsgegebenheiten zerschellen, wie sich Menschen zwanghaft gegenseitig quälen, wie es eben anscheinend fast unmöglich ist, „Glück“ zu finden, das länger als zwei Wochen dauert. Zu schade, daß dieser Mut zur Wahrheit der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik immer abging. Wäre es anders, müßten wir uns unserer Jugendwerke nicht schämen. So aber bleibt uns nichts anderes übrig als zuzugeben, daß auch wir unseren Beitrag zur hiesigen Kultur der Verschleierung geleistet haben.