Fliegende Pfeile? Rohrkrepierer!

■ Peter Roseis Reiseaufzeichnungen

„Ich tue, was ich kann. Ich bin kein ,Künstler‘, der Kunststücke macht“, heißt es unvermittelt auf Seite 86 von Peter Roseis Reiseaufzeichnungen. So, als habe der Autor dem Rezensenten, der schon ein dutzendmal daran war, das Buch in die Ecke zu feuern, beim Lesen in die Gehirnwindungen geschaut. Hättest Du Dir doch, lieber Autor, ging es mir durch den Kopf, nur ein bißchen Mühe gegeben mit Deinen Reisebildern – hättest Du sie bloß entrümpelt von den Klischees, Banalitäten, Privatismen, die sie ungenießbar machen. Es fehlt Dir ja nicht an Beobachtungsgabe, Einfällen und Sprachfarben. Hättest Du nur den Rat des sel. Alfred Polgar beherzigt und aus hundert Zeilen zehn gemacht! Dann hätte sich auch etwas von Deiner Schau- und Reiselust dem Leser mitgeteilt.

Jaja, mir ist schon klar, daß die Kraut-und-Rüben-Methode, nach der Rosei Impressionen, Erinnerungen, Gedanken aneinanderreiht, als ein Verfahren erzählerischer Reduktion gedacht und daß sie nicht einfach aus Faulheit geboren ist, sondern aus einem Verlangen nach Redlichkeit. Rosei will die Welt, die er süchtig nach dem schönen Augenblick durchreist, nicht beschönigen. Er will das „Glück festhalten“, aber nicht vergessen machen, daß es sich (frei nach Adorno) in einem geschlossenen System ereignet, das dem Untergang entgegengeht. Er will keine Idyllen malen, obwohl er nach Idyllen lechzt. Weil er glaubt, daß die Bilder lügen, will er seine Eindrücke nicht zu Bildern formen. Er versucht lediglich die inneren Vorstellungen von der Welt aufzuzeichnen, die sein Leben begleiten, die aber etwas ganz anderes sind als die Welt.

Warum fällt bei so hochtrabenden Rechtfertigungsgründen das Ergebnis so mager aus? Es hat mit dem Genre zu tun: Reisebilder fordern eine ganz andere Hingabe an den Gegenstand und wahrscheinlich eine grundsätzlich andere Einstellung zur Realität. Rosei vergleicht sich selber mit einem Opiumesser: „Und mein Opium heißt Welt.“

Das aber macht ihn noch lange nicht, wie er im selben Atemzug behauptet, zum „Realisten“. Ein Realist vertraut darauf, daß er sich Wirklichkeit (oder eine der Wirklichkeit zugrundeliegende Struktur) im Bewußtsein aneignen, daß er sie abbilden kann. Sonst hätte der Kampf um eine realistische Darstellung für ihn gar keinen Sinn.

Rosei gibt diesen Kampf von vornherein verloren. Er bringt die Sachlichkeit, die den Realisten kennzeichnet (und nicht mit Objektivität verwechselt werden darf), nicht auf. Er bleibt in seiner Innerlichkeit gefangen, auch wenn er aus sich herausguckt. Weder als Reisender noch als Schreibender arbeitet er sich an der Fremde ab: er konsumiert sie bloß nach dem Motto: „Ich bin vielleicht nicht wirklich glücklich, aber dafür high.“

Folglich entdeckt er auch nichts, gewinnt weder den rechten Abstand noch ein Nahverhältnis zu den Gegenden, die er bereist. Seine Texte reproduzieren die Erlebnis- und Erinnerungsstruktur eines Touristen. Das erste, was ihm zu Prag einfällt, ist die Touristen- Bierschwemme „U fleku“, sodann Rabbi Löw und natürlich Kafka. Zu Paris – wer sonst als Proust? Zu Triest – Joyce, wie er besoffen in ein Beiboot der Kriegsmarine gehievt wird. Unreflektierte Klischees, wohin man schaut – das verdirbt auch die Freude an den Geistesblitzen und fragmentarischen Beschreibungskunststücken, die dem Autor gelegentlich unterlaufen.

Selbstkritisch notiert er auf den letzten Seiten: „Vielleicht hat Wilde doch recht, wenn er meint, das das Unmögliche in der Kunst das sei, was man selber erlebt hat. Vielleicht sollte man sich besser auf die Erfindung konzentrieren – und warten, bis man sich von dort her, in seinen Erlebnisfusseln begegnet.“ Dazu kann man Peter Rosei nach der Lektüre dieses verunglückten Buches nur ermutigen. Michael Bienert

Peter Rosei: „Fliegende Pfeile. Reiseaufzeichnungen“. Klett- Cotta Verlag 1993, 140 Seiten, gebunden, 28 DM