Betr.: unterm strich

Reichlich Zulauf haben in diesen schwierigen Zeiten anscheinend die Kirchen. Rund 120.000 gesegnete BesucherInnen haben sich zum Evangelischen Kirchentag in München angesagt. Und dabei ist es bis zu diesem alle zwei Jahre stattfindenden Mammut-Gottesdienst noch sechs Wochen hin. Protestantische Laien aus aller Welt werden zwischen dem 9. und 13. Juni die Bayern-Metropole stürmen, und angesichts dieser Völkerwanderung suchen die Organisatoren noch herzensgute Münchner, die den Pilgern im Zeichen des Herrn Bett und Frühstück offerieren. Geben soll ja in diesen Kreisen bekanntlich selig machen.

Sehr viel zögerlicher laufen die Kartenwünsche für das 30. Berliner Theatertreffen ein. Wenige Tage vor der feierlichen Eröffnung gibt es für die eine oder andere Inszenierung noch reichlich Tickets: Wer Leander Haußmanns „Romeo und Julia“ oder seinen „Sommernachtstraum“ sehen möchte, wer sich für die 789. Version des Büchnerschen „Woyzeck“ interessiert, möge sich täglich von 12.00 bis 14.00 Uhr am Verkaufsstand der Berliner Festspiele melden. Die sind eben nicht in, sondern nur gegenüber der „Gedächtniskirche“.

Die Frage, warum das Theater gelegentlich so große Absatzschwierigkeiten hat, mag vielleicht das neuste Theaterschaffen der Berliner Kammerspiele erhellen: Dortselbst gab man premierenmäßig am vergangenen Dienstag Max Frischs „Andorra“ (vielleicht zum 799. Mal in der deutschen Theatergeschichte?). Weil Regisseur Rolf Milde das „hochaktuelle Gegenwartsstück“ wieder ins Gedächtnis der Jugend zurückholen will (ob die das nicht immer noch in der Schule lesen müssen?), hat er es mit moderner Rock-Musik, mit Videoeinblendungen und diversen Skinheads aufgepeppt. Wenn's denn der Wahrheitsfindung dient...

Ebenfalls Kurs auf die Zukunft hat das älteste Kurzfilmfestival der Welt genommen. Nachdem die Oberhausener Kurzfilmtage sich bereits in den letzten beiden Jahren mit Symposien und Veranstaltungen zur Bebilderung des Golfkriegs, der Werbewelt und der TV-Reality ein neues Profil zu geben aufgeschwungen hatten, wurde dieser Weg in diesem Jahr tapfer weiter beschritten: Das Musikvideo als „derzeit vielleicht populärste Form des Films“ mußte als Thema des diesjährigen Festivalschwerpunktes herhalten. Nicht nur Filmexperten, auch Fans aus dem umliegenden Ruhrgebiet gingen bei ozonbelastetem Sonnenschein der „Ergründung dieser weitgehend unerforschten Filmform“ nach. Der Internationale Wettbewerb, bei dem erstmals auch elektronisch produzierte Beiträge zugelassen waren (hurra!), zeichnete sich, so referiert uns Herr Kindermann von der dpa, „durch ein durchweg recht hohes Niveau aus“. Was wir uns darunter vorstellen sollen, bleibt allerdings im nebulösen Dunkel der Berichterstattung.