Lob des Mittelmaßes

■ Bill Murray exerziert den Werdegang vom Individuum zur Massenware

Gerade in seiner Durchschnittsware verrät das US-Kino derzeit am meisten über Funktion und Machart seiner selbst. Zum Beispiel in „Der Scheinheilige“. Als wanderpredigender Showmaster verkörpert Steve Martin das Credo einer Unterhaltungsbranche, die in schlechten Zeiten Mut zu machen behauptet, um aus der Lüge des „Don't worry“ Profit zu schlagen. Oder Barry Levinsons „Toys“: Spiel und Spaß wirken als Wunderwaffe gegen die Kriegsmaschinerie, bunte Illusionen besiegen die Schrecken der Gegenwart, als müsse sich das Mainstream-Kino seiner selbst und seiner Macht der Augenwischerei vergewissern. Auch in den neunziger Jahren gebärdet es sich wie seinerzeit Burt Lancaster in Joseph Anthonys Klassiker: als „Regenmacher“ in Dürrezeiten.

Auf den ersten Blick erzählt „Groundhog Day“ (deutscher Titel: „Und täglich grüßt das Murmeltier“) eine ganz andere Geschichte. Berichtet wird von den Nöten des unsympathischen TV- Meteorologen Phil (Bill Murray), der bei einem Außendreh über den Murmeltiertag im Provinzkaff Punxsutawney in Pennsylvania erst von einem Schneesturm, dann von einem mysteriösen Zeit-Phänomen festgehalten wird. Jeden Morgen muß er feststellen, daß wieder gestern ist. Jeder Tag ist Murmeltiertag, mit dem immergleichen Radioprogramm, dem gleichen Wetter, den gleichen Begegnungen und nichtigen Ereignissen. Phil wird ein Gefangener der Gegenwart. Anfangs versucht er vergeblich, seinem Schicksal mittels Selbstmord zu entkommen, dann entdeckt er die Vorteile einer Lage, in der alles was er tut, folgenlos bleibt, und schließlich mausert er sich zum freundlichen Zeitgenossen und nützlichen Bürger, damit die Love-Story zwischen ihm und seiner Produzentin Rita (Andie Mac Dowell) dem obligatorischen Happy-End zugeführt werden kann. Ein seichter Unterhaltungsfilm, in dem man dennoch zusehen kann, wie die Arbeit in der Fabrik der Träume vonstatten geht: am Fließband.

Dialog am Tresen. Phil läd Rita zum Drink. Aber seine Sprüche verfangen nicht. Also noch einmal, am nächsten, sprich: dem gleichen Tag. Und wieder und wieder, so lange, bis seine Einladung einen erfolgversprechenden Abend nach sich zieht. Auch das ist Hollywood: die Wiederholung des fast Identischen. Wenn eine Szene nicht funktioniert, wird sie umgeschrieben, variiert und solange wiederholt, bis sie sich bruchlos in den Mainstream fügt. Bill Murray exerziert den Werdegang vom mürrischen Antistar zum glatten Durchschnittshelden, vom Individuum zur Massenware. Sein Profil, das eines Ekels, wird bis zur Gesichtlosigkeit zurechtgestutzt.

Abgesehen davon, daß Bill Murray als menschenverachtender Zyniker die eindeutig bessere Figur macht, bleibt Andie Mac Dowell als Objekt seiner Begierde blass wie nie. Eine brave, dümmliche Fernsehangestellte mit dem Standardtraum vom Standardgatten. Aber der Zuschnitt des weiblichen Gegenparts macht deutlich, daß es „Groundhog Day“ weniger um eine romantische Love-Story zu tun ist. Als Phil ein paar Kleinstadtbewohnern sein Leid klagen will, reagieren diese verständnislos. Bei ihnen sei ohnehin ein Tag wie der andere. Harold Ramis' Film will dem Publikum weismachen, das höchste Glück auf Erden sei eben das: Normalität. Zwar macht Bill Murray keinen Hehl aus der Anstrengung, die die industrielle Verfertigung von Mittelmaß kostet. Die freiwillige Selbstzähmung: ein Kraftakt. Aber nur, wer normal ist, dem gebührt ein Happy-End. Auch ein Trost für graue Tage. Bisher ist „Groundhog Day“ der erfolgreichste US-Film des Jahres 1993. Christiane Peitz

Harold Ramis: „Groundhog Day“. Mit Bill Murray, Andie Mac Dowell u.a.; USA 1992, 103 Min.