Journalismus lebensgefährlich

■ 16 Journalistenmorde seit Beginn der Demirel-Regierung

Berlin (taz) – 1992 war das Jahr, in dem die Türkei zu einem der gefährlichsten Länder für Journalisten avancierte. Internationale Journalistenverbände konstatieren, daß es nur im ehemaligen Jugoslawien gefährlicher für Journalisten ist.

Für die ersten fünfhundert Tage der Demirel-Inönü-Koalitionsregierung führt die „Menschenrechtsstiftung“ in Ankara insgesamt sechzehn Morde an Journalisten auf. Vierzehn davon wurden im Gebiet des Ausnahmezustandes, in den kurdischen Provinzen, verübt. Die Täter blieben durchweg unerkannt, und nicht nur die schleppenden Ermittlungen deuten auf staatlichen Schutz der „Killerkommandos“ hin.

Wie freie Berichterstattung besonders zu Menschenrechtsverstößen an der kurdischen Bevölkerung verhindert werden soll, zeigt die immer länger werdende Liste von verhafteten und gefolterten Journalisten, sowie Haft- und Geldstrafen, die für unliebsame Artikel verhängt werden. Bis zum 7. April dieses Jahres wurden in den ersten fünfhundert Tagen unter Demirel Haftstrafen von mehr als fünfzig Jahren und Geldstrafen in Höhe von 17,35 Milliarden türkischen Pfund (zirka drei Millionen DM) gegen Schriftsteller und Journalisten verhängt.

Am stärksten betroffen war die prokurdische Tageszeitung Özgür Gündem (Freie Debatte). Sie mußte – auch aufgrund ihrer durch die Verfolgung bedingten wirtschaftlichen Lage – am 15. Januar 1993 ihr Erscheinen einstellen, nachdem fünf ihrer Reporter ermordet und mehr als dreißig kurz- oder längerfristig inhaftiert und dabei gefoltert worden waren. Die Zeitung hatte zwar ihr Wiedererscheinen für Mitte April angekündigt, es ist ihr jedoch nicht gelungen, dieses Versprechen einzulösen.

Nach dem Friedensangebot des Führers der kurdischen Guerilla PKK, Abdullah Öcalan, werden auch in Regierungskreisen Stimmen laut, die kurdische Radio- und Fernsehsendungen fordern. Ein solcher Schritt erscheint bei der momentan herrschenden Praxis eher unrealistisch.

Es existieren zwar einige wenige Publikationen, die ganz oder teilweise in kurdischer Sprache erscheinen. Aber gerade in diesen Artikeln entdecken die Staatsanwaltschaften immer wieder „separatistische Propaganda“, worauf in der Türkei hohe Haft- und Geldstrafen stehen. Helmut Oberdiek