: „Nachts um drei, mit Speeren und Messern“
■ Augenzeugen berichten über ethnische Vertreibungen in Zaire
In Zaires Ostprovinz Kivu, an der Grenze zu Ruanda, sind seit einiger Zeit Vertreibungsaktionen gegen ethnische Ruandesen im Gange, die nach Angaben der zairischen Übergangsregierung bis Ende letzter Woche 500 Tote gefordert haben. Brennpunkte der Gewalt sind die Kreise Walikale und Masisi. Walikale ist ein Waldgebiet, in dem der Nyanga-Stamm zusammen mit einigen aus Ruanda eingewanderten Bauern zusammenlebt. Die Bevölkerung Masisis ist zu 80 Prozent ruandischen Ursprungs. Die ruandischen Bauern, die teils bereits 1920 auf der Suche nach Land hierher zogen, sind durch den Anbau von Hülsenfrüchten und Kartoffeln, die in ganz Zaire verkauft werden, und insbesondere durch Viehwirtschaft reich geworden.
In Masisi lebt neben den Ruandesen der einheimische Stamm der Hundé, der sich als Eigentümer des Bodens betrachtet und die örtlichen Stammesautoritäten der Region stellt. Die Hundé-Häuptlinge verlangen von den „fremden Ruandesen“ Tributzahlungen in Form von Vieh und Ernteanteilen, die sie mit einer eigenen Miliz eintreiben.
Mit der Zerbröckelung der Mobutu-Diktator in Zaire seit 1990 hofften die Ruandesen, nun könnten sie die Herrschaft der Nyanga- und Hundé-Häuptlinge abschütteln. Seit Anfang 1993 gab es mehrere Demonstrationen gegen die traditionellen Stammesstrukturen. In diesem Kontext kam es zu der unten dokumentierten Eskalation. Seitdem sind zairische Armee-Einheiten in dem Gebiet stationiert, die sich zuvor in der Provinzhauptstadt Goma durch Plünderungen bemerkbar gemacht hatten.
Die taz dokumentiert die wesentlichen Passagen eines Briefes zweier geflüchteter Bewohner des Dorfes Banalukisa, Kreis Walikale, an den Provinzgouverneur. Unterzeichnet ist er mit Fingerabdrücken. Der Brief wurde auch an die zairische Regierung, die Justizbehörden, Kirchenkreise und die Zairische Menschenrechtsliga geschickt.
„Mit traurigen Grüßen“
„...Es begann damit, daß die Nyanga (örtlicher Stamm, d. Red.) den Hutus (Ruandesen, d. Red.) das Recht verweigerten, auf ihren Feldern Ölpalmen anzupflanzen, und sie als Ausländer und Zauberer beschimpften. Danach begannen die lokalen Behörden, Hutus zu foltern und sie zu zwingen, zu akzeptieren, daß sie nicht auf ihre eigenen Felder dürfen.
Kurz danach kam der Polizeichef von Braza, Jean mit Namen, um die salongo (Zwangsabgabe) von den Hutus einzutreiben. Er zwang jeden Hutu-Bauer, einen 100-Kilo-Sack Bohnen pro Ernte und eine Ziege an denjenigen zu geben, von dem er sein Feld einst gekauft hatte. Schon hier gab es mehrere Opfer, die gestorben sind. Ein zweiter Polizeichef, Amisi Mutshinya mit Namen, informierte die Hutus, daß sie innerhalb von sechs Monaten oder höchstens einem Jahr „nach Hause“ gehen müßten.
Gegen drei Uhr morgens am 20.März schließlich sehen wir eine Gruppe von Nyanga, mit Speeren, vergifteten Pfeilen, Bogen, Macheten, Messern und 12-Kaliber-Gewehren bewaffnet, die die Bevölkerung überfallen. Sie töten, zünden unsere Häuser an. Mehrere Menschen – Männer, Frauen, Kinder, Babys – werden gefesselt und verschleppt. Zum Zeitpunkt unserer Flucht gibt es bereits etwa zehn Tote...
Am Morgen danach, ein Sonntag, haben dieselben Verbrecher die evangelischen und katholischen Christen aus dem Kirchenraum heraus als Geiseln genommen, erschossen und erdrosselt, außer ihren Nyanga-Brüdern.
Nach neuesten Informationen sind über 300 Hutus getötet worden. Das Schicksal von etwa 1.000 Personen, die auf dem anderen Flußufer wohnen, zu dem die Brücke abgeschnitten wurde, ist unbekannt...
Mit traurigen Grüßen: Die Überlebenden der massakrierten Bevölkerung, Komayombi Bakunzi (39 Jahre) und Munyankera Barema (31 Jahre).“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen