Waldberg-Skandalurteil bestätigt

Kassationsgerichtshof in Ankara will den Journalisten wegen „Kuriertätigkeit für die PKK“ für 45 Monate in türkischer Haft lassen / Beobachter hatten Freilassung vor Kohl-Besuch erwartet  ■ Von Helmut Oberdiek

Der Freiburger Journalist Stephan Waldberg bleibt wegen seiner Recherche in Kurdistan weiter im türkischen Knast. Die 9. Kammer des Kassationsgerichtshofes in Ankara bestätigte gestern das Urteil des Staatssicherheitsgerichtes in Diyarbakir, wo Stephan Waldberg am 22. Januar als vermeintlicher Kurier der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu 45 Monaten Haft verurteilt worden war.

Die Entscheidung der Richter überrascht nicht nur, weil hier ein eklatantes Beispiel von Gesinnungsjustiz an einem Ausländer vollzogen wurde, sondern auch, weil mit seiner Entlassung vor dem Besuch von Bundeskanzler Kohl im Mai gerechnet worden war.

Mit dem Urteil von Ankara hält die „Odyssee“ des 28jährigen an. Waldberg hatte seinen Jahresurlaub im September vergangenen Jahres dazu benutzen wollen, um wie schon 1991 für das Freiburger „Radio Dreyeckland“ Reportagen aus dem kurdischen Kriegsgebiet zu machen.

Nach einem Aufenthalt von gut zehn Tagen bei Kurden in der Türkei überquerte er am 29. September die Grenze in den Irak. Während seiner Erkundigungen über die Wiederaufbauarbeiten im Dorf Banik (bei Zaho) bekommt er das für einen Journalisten verlockende Angebot, ein Lager der gegen die türkische Armee kämpfenden PKK-Guerilla zu besuchen.

Am 3. Oktober beginnt die Großoffensive der kurdischen „Peschmergas“ im Nordirak (zu Lande) und der türkischen Armee (aus der Luft) gegen Stellungen der PKK im Irak. Der „Bombenhagel“ hindert Waldberg daran, das Lager zu verlassen, so daß er seinen für den 16. Oktober gebuchten Rückflug aus Ankara verpaßt. Er ist heilfroh, als Mitte Oktober die Kämpfe abflauen und er am 23. Oktober lebend die türkische Grenze erreicht.

Dort wird er erwartet, denn der türkische Geheimdienst hatte die Ankunft eines „deutschen Agenten“ avisiert. Bei der Polizei wird Waldberg zehn Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt verhört. Hier prasseln andere „Bomben“ auf ihn ein. Neben den Folterschreien von Mitgefangenen muß er Scheinexekutionen bei verbundenen Augen, nackt und mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen über sich ergehen lassen. Obwohl er all dies einem Vertreter der deutschen Botschaft am 19. November erzählt, besteht das Auswärtige Amt bis heute darauf, daß nur von psychologischem Druck geredet werden kann. Das Wort „Folter“ möchte man gegenüber dem Nato-Partner Türkei nicht in den Mund nehmen.

Für die türkische Polizei und später auch das Gericht stand die „Schuld“ von Waldberg von vornherein fest. Da ein Deutscher schlecht Mitglied einer kurdischen Organisation sein kann, mußten angebliche „Kurierdienste“ für einen Schuldspruch herhalten. Waldberg war tatsächlich nicht mit „leeren Händen“ aus den PKK- Lagern zurückgekehrt. Er hatte Fotos geschossen, Interviews aufgenommen und ein paar Notizen gemacht. Als Andenken hatte er außerdem (auch in Deutschland erhältliche) Aufnäher von PKK- Kämpfern und eine leere Patronenhülse dabei.

Hauptbeweisstück aber war ein Brief, den ein in Hamburg aufgewachsener PKK-Kämpfer an Freunde in Deutschland geschrieben hatte. Der in einem verschlossenen Umschlag befindliche Brief enthielt harmlose Durchhalteparolen für eine Solidaritätsveranstaltung in Gießen. Vor Gericht wurde der Brief zu einem brisanten Dokument hochstilisiert, da Hüseyin Celebi als „Lagerkommandant“ mit vollem Namen unterschrieben hatte.

Das Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir ignorierte fast alles, was die Verteidigung vorbrachte. Es verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß Waldberg gar kein Journalist sei, obwohl eine Kopie seines Presseausweises und ein Mitarbeiter des Senders als Zeuge die Angaben bestätigt hatten.

Für den Verteidiger hieß die Schlußfolgerung, daß erst das Urteil gefällt und dann eine Begründung „an den Haaren“ herbeigezogen wurde. Zentrale Feststellungen waren hypothetisch formuliert worden. Mit anderen Worten: Es war ein politisches und kein juristisches Urteil, mit dem ein Exempel an kritschen (ausländischen) Journalisten statuiert werden sollte. Es darf vermutet werden, daß es von oben diktiert wurde und sich die bundesdeutsche Vertretung für den unscheinbaren Reporter eines kleinen, autonomen Senders nicht die guten Beziehungen zur Türkei verderben wollte.

Exemplarisch für die „ernsthaften“ Bemühungen um die Freilassung eines deutschen Journalisten war der Besuch von Dr. Hans Stercken (siehe taz vom 17.2. 93). Nach einem Gespräch mit Waldberg spielte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses nicht nur die Prügel im Gefängnis herunter („keine bleibenden Schäden“). Er lobte die türkische Justiz und Staatsführung, die auf dem „Kulanzwege“ für eine baldige Entlassung sorgen würde. Anscheinend hat auch er sich geirrt.