„Hier ist das Volk gefragt“

■ Werner Schulz, parlamentarischer Geschäftsführer der Bündnis-90-Fraktion, über Blauhelmeinsätze in Ex-Jugoslawien

taz: Herr Schulz, Sie haben eine Militärintervention in Jugoslawien gefordert, geht das über die bisherige Bündnis-90-Forderung nach militärischer Durchsetzung von Hilfslieferungen und Schutzzonen hinaus?

Werner Schulz: Nein, keinesfalls, ich habe nur noch einmal unterstrichen, daß die Lieferungen auch dort ankommen müssen, wo sie gebraucht werden. Das kann man weder mit Verhandlungen noch mit dem mutigen Einsatz eines Generals erreichen, sondern man muß Korridore schaffen, um die Eingeschlossenen wirklich zu versorgen. Das heißt letztlich schon den Einsatz von Militär. Der Zustand, daß die Blauhelmkonvois immer wieder von schießwütigen Tschetniks zum Umkehren gezwungen werden, ist unannehmbar. So kann sich die UNO keine Autorität verschaffen um zu verdeutlichen: wir sind gewillt, diesen Menschen zu helfen, und wir sind bereit, uns dafür Respekt zu verschaffen. Das ist noch kein Kampfeinsatz.

Deine Kollegin Vera Wollenberger hat im Bundestag eine Entwaffnung der Serben gefordert. Das wäre wohl ohne Kampfeinsatz schwer vorstellbar.

Ich finde die Forderung gerechtfertigt, kann mir aber die praktische Umsetzung nur schwer vorstellen. Das würde wahrscheinlich genau den langwierigen Krieg ergeben, vor dem sich alle fürchten. Dennoch denke ich, daß im ehemaligen Jugoslawien eine Situation erreicht ist, in der die an sich wünschenswerte gewaltfreie Konfliktbewältigung nicht greift. Es gibt diese Möglichkeit nicht mehr. Ich fordere zumindest praktische Hilfeleistung für die Opfer, notfalls auch mit Gewalt.

Würde das die Beteiligung deutscher Soldaten mit einschließen?

Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ginge das momentan gar nicht. Im übrigen will ich keine neue deutsche Außenpolitik, die auch militärische Mittel einschließt, ohne daß die Bürger in diesem Land darüber entschieden haben. Daß die unklare Verfassungslage jetzt für deutsche Militäreinsätze ausgenutzt wird, ist eine unhaltbare Situation. Man muß sich über die neue außenpolitische Rolle Deutschlands auseinandersetzen, aber diese schwerwiegende Entscheidung, ob man sich künftig an Blauhelmmissionen oder an friedensschaffenden Einsätzen der UN beteiligt, erfordert für meine Begriffe eine Volksabstimmung. Es müssen diejenigen entscheiden, deren Söhne, deren Brüder und Ehemänner künftig von einer derartigen Politik betroffen sind. Ich bin nicht der Meinung, daß der Bundestag das Recht hat, das alleine zu entscheiden. Hier ist das Volk gefragt. Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel; der muß auf einer soliden demokratischen Grundlage stehen.

Wie wird sich die Partei Bündnis 90/Grüne in dieser Frage verhalten. Bislang gibt es eine klare Beschlußlage der Grünen, die jegliche militärische Einsätze deutscher Soldaten im Rahmen der Vereinten Nationen ablehnt. Verschiedene Bündnis-Politiker haben sich für eine interventionistische Außenpolitik ausgesprochen, die auch militärische Mittel zur Durchsetzung von Menschenrechten einschließt.

Wir werden an dieser Stelle eine offene und kontroverse Diskussion führen, von der ich allerdings nicht glaube, daß sie die Partei zerreißen wird. Es hat niemand die bessere Antwort gepachtet. Niemand kann sich allerdings auf den moralischen Rigorismus zurückziehen, Gewaltfreiheit zu beschwören. Das ist wie der Feuerwehrmann, der vor den Flammen aus der Brandschutzfibel zitiert. Die Politik hat einen Schaden hinterlassen, der in bestimmten Fällen nur mit militärischen Mitteln zu Ende gebracht werden kann. Auschwitz ist auch nur durch militärische Gewalt aufgelöst worden, nicht durch Resolutionen. Ob unsere Position dann irgendwann mehrheitsfähig wird, kann ich schwer sagen. Interview: eis