Ein peinlicher Prozeß für die IG Metall

Politischer Sekretär ihrer Verwaltungsstelle Berlin wegen sexueller Nötigung einer Kollegin angeklagt / Vergeblich hatten IG-Metall-Frauen seine Kündigung verlangt / Heute Urteil  ■ Aus Berlin Ute Scheub

Helle Aufregung in der örtlichen Gewerkschaftszentrale. Der Skandal wird wochen- und monatelang diskutiert. Es herrscht Ausnahmezustand, an eine normale politische Arbeit ist nicht mehr zu denken. Um „Schaden von der Gewerkschaft abzuwenden“, wird Kollegin R. schließlich die Versetzung in eine andere Stadt angeboten, während Kollege K. weiterarbeiten darf wie bisher. Was ist passiert? Hat die Kollegin sich für die 45-Stunden-Woche bei vollem Lohnausfall stark gemacht? Oder hat sie Mitgliedsbeiträge auf den Bahamas verjubelt? Noch etwas ganz anderes ist denkbar: die Frau ist von ihrem Kollegen sexuell genötigt worden.

Solch ein Fall, der sich Ende November 1991 zwischen einem politischen Funktionär und einer Sekretärin der IG-Metall-Verwaltungsstelle abspielte, wurde damals durch die taz öffentlich gemacht. Der durch die Berichte sehr beunruhigte Bundesvorstand, das oberste Organ der Gewerkschaft, lud die Kollegin Anfang Februar 1992 zum Gespräch nach Frankfurt am Main und bot ihr „ganz neue berufliche Perspektiven“ im Berliner Umland an. Daß daraus nichts wurde, lag letztlich an der ebenfalls taz lesenden Staatsanwaltschaft, die von Amts wegen ein Verfahren gegen den Gewerkschafter Detlef K. einleitete. Heute wird vor dem Landgericht das Urteil gesprochen. Wäre die IG Metall nicht die erste Gewerkschaft gewesen, die sich – löblicherweise – dem konsequenten Kampf gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verschrieben hätte, dann wäre dieser Prozeß angesichts der Alltäglichkeit männlicher Grapscherei der Erwähnung kaum wert. So aber gerinnt er

zu einem Lehrbeispiel für den klaffenden Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Eine peinliche Rolle spielt dabei jedoch nicht nur die männliche Gewerkschaftsführung, sondern auch die Frankfurter Frauenabteilung, deren Vertreterin in erwähntem Gespräch anscheinend nichts gegen das obszöne Versetzungsangebot inklusive Gratisumzug einzuwenden hatte. Dafür aber schlug in Berlin die weibliche Basis der IG Metall sowie der HBV, der ÖTV und des DGB anhaltenden Krach und verlangte immer wieder die Kündigung des politischen Sekretärs. Vergeblich. Oder vielleicht doch nicht ganz: Detlef K. wurde ins

Umland versetzt, während Angelika R. bleiben durfte.

Was hatte sich denn nun an besagtem 29. November 1991 abgespielt? Eine Betriebsfeier hatte es gegeben, viel Alkohol war geflossen. Der 39jährige Detlef K. – blondgefärbte Haare, sportlicher Schnauzer, korrekte Kleidung – habe schon in der Kneipe Annäherungsversuche gestartet, so die Nebenklägerin Angelika R., die sie jedoch abgewehrt habe. Er habe sich dafür entschuldigt, „das war nicht so gemeint“, und sie habe sein Angebot angenommen, sie nach Hause zu fahren. Auf dem Rücksitz sei sie eingeschlafen. Als sie aufwachte, habe er schon neben ihr gesessen und sei ihr an den Hals gegangen. Sie würgend, habe er sie gezwungen, seinen Penis in den Mund zu nehmen. „Noch nie in meinem Leben“, berichtete die Zeugin, „habe ich soviel Todesangst gehabt.“ Schließlich sei sie aus dem Auto geflüchtet. „Total gedemütigt und schmutzig“ habe sie sich gefühlt. Eine ganze Weile noch irrte sie nächtens in verwirrtem Zustand herum, bis Polizisten sie heimbrachten.

Der Angeklagte indes bestritt die Vorwürfe heftig. Für ihn war alles ein „Flirt“ gewesen, jedenfalls bis zu jenem Moment, in dem die Kollegin auf dem Rücksitz von einem „plötzlichen Sinneswandel“ befallen wurde. „Hör mal, du hast gerade versucht, mich zu vergewaltigen“, habe sie gesagt. Die Überraschung des Funktionärs war dabei womöglich nicht einmal gespielt: Detlef K. scheint zu jenen Männern zu gehören, die sich für unwiderstehlich halten und deshalb Selbstbild und Außenwirkung nicht unterscheiden können.

Im Gerichtssaal hörte er unbewegten Gesichtes zu, pedantisch jeden Satz mitschreibend, während die Zeugin stockend und weinend ihre Aussage formulierte. Scham, Angst und Pein waren ihr sichtlich anzumerken. Sie waren auch der Grund, warum sie ihren Kollegen nicht anzeigte und lange Zeit – jedenfalls bis zu dem sie zum zweitenmal demütigenden Gespräch in Frankfurt – einen Prozeß vermeiden wollte.

Daß sie damit den Männern an der Gewerkschaftsspitze die Möglichkeit in die Hände gab, die Sache angeblich in ihrem eigenen Interesse geheimzuhalten, mag ihr erst später aufgegangen sein. Die örtlichen Mitglieder der IG Metall wurden erst geschlagene zwei Monate nach dem Vorfall informiert – und auch das erst nach zahlreichen Presseveröffentlichungen. Und die erste offizielle Pressemitteilung in dieser Sache erreichte die Journalisten knapp ein Vierteljahr nach jener Novembernacht. IG-Metall- Geschäftsführer Manfred Foede mochte sich bis heute für keine Partei entscheiden und stützte damit faktisch seinen männlichen Kollegen. Auch wenn „die Glaubwürdigkeit der Aussage der Kollegin nicht angezweifelt wurde“, formulierte er in der Erklärung, sei von der Unschuld des Detlef K. „bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen“. Da damals noch niemand mit einer Beweiserhebung vor Gericht rechnete, hieß das im Klartext: bis zum St.Nimmerleinstag. Der aber ist mit der heutigen Urteilsverkündung angebrochen.