Solidarpakt steht wieder auf der Kippe

SPD fühlt sich betrogen: Die Koalition plant offenbar die Kürzung des Unterhaltsgeldes, die im Solidarkompromiß abgelehnt worden war, außerhalb des Solidarpakts  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Die Koalition bleibt nicht im Rahmen und die SPD fühlt sich betrogen. „Im Rahmen des FKP“ (Föderales Konsolidierungsprogramm, volkstümlich auch Solidarpakt), so hatten Spitzenpolitiker von Regierung und SPD erst am vergangenen Freitag vereinbart, „soll eine Kürzung des Unterhaltsgeldes... nicht vorgenommen werden.“ Das aber plant die Koalition nun offenbar außerhalb dieses Rahmens. Das Unterhaltsgeld für Um- und Fortbildungsmaßnahmen, bisher fünf Prozent höher als das Arbeitslosengeld, soll auf dieses Niveau abgesenkt werden – durch eine Gesetzesänderung zum Arbeitsförderungsgesetz, die im Laufe dieses Jahres kommen wird. Entsprechende Meldungen und Gerüchte bestätigte der haushaltspolitische Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Adolf Roth. Die Stimmen der SPD wären dafür, anders als beim Solidarpaktkompromiß im ganzen, nicht nötig. Die sieht sich hart brüskiert, denn die Vereinbarungen vom März besagen klipp und klar: „Soziale Regelleistungen werden nicht gekürzt.“ Zusätzlich verärgert zeigen sich die Sozialdemokraten, weil aus den Reihen der Koalitionäre voll Häme behauptet wird, der SPD sei doch angekündigt worden, daß solche Initiativen außerhalb des Solidarpaktes noch kommen werden.

Rudolf Dreßler, als sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion beim Märzmarathon im Kanzleramt an den Verhandlungen beteiligt, weist das weit von sich. Mit keinem Wort sei davon die Rede gewesen. „Wenn ich Kompromisse mache, muß ich mich daran halten und kann sie nicht wenige Tage später durch meine eigene Mehrheit ad absurdum führen.“ Als „miesen Taschenspielertrick“ bezeichnete die SDP-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier den Vorgang, und Peter Struck, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, stellte unter diesen Bedingungen die sozialdemokratische Zustimmung in Frage. Das Solidarpaktpaket, das in der letzten Woche mit Mühe und Not eine schwere Krise gemeistert hat, steht damit erneut auf der Kippe.

Nach den dreitägigen Verhandlungen Mitte März hatte die SPD als einen ihrer wichtigsten Erfolge verbucht, daß die geplanten Sozialkürzungen abgewehrt werden konnten. Allerdings blieb eine Einsparlücke in Höhe von über neun Milliarden Mark bestehen. In Verhandlungen zwischen Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) und vier Länderfinanzministern kam es zwar zu weitgehendem Einvernehmen. Unter anderem stimmte die SPD-Seite zu, die künftigen Soialhilfeerhöhungen an die Nettolohnentwicklung zu binden, blockierte aber Kürzungen beim Unterhaltsgeld. Die Resultate der Einsparrunde waren noch nicht ganz unter Dach und Fach, als Theo Waigel eine weitere 4,5 Milliarden-Finanzlücke entdeckte. Zudem war die Ausgabenentwicklung bei der Bundesanstalt für Arbeit allseits unterschätzt worden und wegen der schlechten Konjunturentwicklung ist mit erheblichen Steuerverlusten zu rechnen. Die Teilnehmer der Krisensitzung am letzten Freitag, neben Waigel Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) und die Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (Sachsen, CDU) und Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz, SPD), trennten sich zwar im Einvernehmen: 2,1 Milliarden der Finanzlücke übernehmen die Länder, den Rest der Bund. Woher dieser das Geld jedoch nehmen soll, verriet das Einigungskommunique nicht. Daß die Koalition bei den mit steigender Arbeitslosigkeit galoppierenden Kosten der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit also doch noch einmal Hand anlegen will, ist also mehr als naheliegend.

Die Urheberschaft für den Vorstoß beim Unterhaltgeld blieb trotz der Bestätigung durch den Haushaltsexperten der Unionsfraktion im Halbdunkel. Daß die Bundesregierung außerhalb des Solidarpakts Initiativen ergreift, davon wußte Regierungssprecher Vogel gestern nichts. Es handle sich offenbar um Initiativen aus den Koalitionsfraktionen. Er sei ja nicht dabeigewesen, so der Regierungssprecher, aber er habe gehört, daß man der SPD signalisiert habe, das eine oder andere außerhalb des Sozialpakts zu machen.