Zwei Pässe, aber ein Lebensmittelpunkt

■ Seit Jahren wird mit technischen Argumenten eine ideologische Position verteidigt – dabei läßt sich alles pragmatisch lösen

Alle Polemik gegen die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft mündet regelmäßig in der platten Forderung:

„Wer Deutscher werden will, soll sich auch dafür entscheiden!“

Die Staatsangehörigkeit sei ein Bekenntnis zu dem entsprechenden Land, dem es gelte, in guten wie in schlechten Zeiten die Treue zu halten. Traditionalisten reden davon, man könne „nicht zwei Herren dienen“ – im Parlamentsdeutsch verweist die CDU ganz allgemein auf eine „gespaltene Loyalität“, die nicht hinnehmbar sei.

Diese Einwände gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft dienen in aller Regel nicht einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern sollen Emotionen mobilisieren. Zum einen appelliert ein solcher Hinweis an den Neid der Einheimischen, der sich gegen eine vermeintliche Privilegierung von Ausländern richtet – Motto: wir haben ja auch alle nur eine Staatsangehörigkeit, warum sollen die also zwei haben und eventuell daraus ihren Vorteil ziehen? Zum zweiten werden so Ressentiments geweckt, die Leute mit einer doppelten Staatsangehörigkeit in die Ecke potentieller Verräter stellt: schließlich kann man nicht „zwei Vaterländer lieben“.

Die Argumentation ist rein ideologisch und geht von einem Obrigkeitsstaat aus, dem seine Untertanen, notfalls unter Einsatz ihres Lebens, zu dienen haben. Diese Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert hat mit einer modernen Republik, wie sie auch die Bundesrepublik sein will, nichts zu tun. Das Verhältnis zwischen Bürger und Staat ist über Gesetze in Rechten und Pflichten definiert, bei denen man im einzelnen genau analysieren kann, ob sie einer doppelten Staatsbürgerschaft entgegenstehen.

Im allgemeinen geht man davon aus – und das kann auch gesetzlich so geregelt werden –, daß es im Fall einer doppelten Staatsbürgerschaft eine aktive und eine passive Staatsbürgerschaft gibt. Welche die aktive und welche die passive ist, entscheidet sich am tatsächlichen Lebensmittelpunkt. Eine Türkin, die seit zehn Jahren in Berlin lebt und nur noch im Urlaub in die Türkei fährt, hat ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik. Solange sie in der Bundesrepublik lebt, ruht ihre türkische Staatsangehörigkeit, und sie nimmt ihre Rechte und Pflichten als deutsche Staatsangehörige voll wahr.

Was ist mit Wahlen?

Leute mit doppelter Staatsangehörigkeit wählen in dem Land, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt haben und ihre Staatsangehörigkeit aktiv wahrnehmen. Man kann durch Gesetz festlegen, daß beispielsweise ein Deutscher, der auch die marokkanische Staatsbürgerschaft besitzt, in der BRD nur dann wählen darf, wenn er hier auch einen Wohnsitz hat und nicht seit zehn Jahren ausschließlich in Marokko lebt. Damit kann man vermeiden, daß sich Leute hier an Wahlen beteiligen können, die dann mit den Ergebnissen der Wahlen nicht konfrontiert sind.

Was ist mit den Steuern?

Steuern kassieren die deutschen Finanzämter bereits jetzt bei jedem, der hier arbeitet, völlig unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft. So haben die in Deutschland lebenden und arbeitenden „Ausländer“ nicht unerheblich zu der Solidaritätsabgabe für den darbenden Osten beigetragen. Ähnliches gilt für das gesamte System der sozialen Sicherungen: in die Altersversorgung, Arbeitslosen- und Krankenversicherung zahlen die Einwanderer ohne deutschen Paß erheblich mehr ein, als sie herausbekommen. Besonders die Rentenversicherung wäre ohne ihre Beiträge schon pleite.

Was ist mit der Wehrpflicht?

Das scheinbar schlagendste Argument gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft ist der in den meisten Staaten geforderte Wehrdienst. Wer muß wo zum Armee? Auch diese Barriere löst sich bei genauerem Hinsehen zumeist in Wohlgefallen auf. Innerhalb der EG und innerhalb der Nato gibt es keine Probleme, da entweder bilaterale oder multilaterale Absprachen bestehen. Damit sind, da auch die Türkei Nato-Mitglied ist, fast alle für die doppelte Staatsbürgerschaft in Frage kommenden Personen einbezogen.

Darüber hinaus sind weitere Regelungen zwischen der BRD und anderen Staaten möglich. Im schlechtesten Fall geht die Frage der Wehrpflicht aber auf Kosten desjenigen, der eine doppelte Staatsbürgerschaft hat. Denn ihm kann der Staat, in dem er nicht seinen Lebensmittelpunkt hat, mit Ausbürgerung drohen, wenn er dort keinen Wehrdienst absolviert.

Was die meisten nicht wissen:

Schon jetzt akzeptiert die Bundesrepublik bei einer wachsenden Zahl von Einbürgerungen aus praktischen Gründen eine doppelte Staatsbürgerschaft. Selbst in der CDU wird darauf verwiesen, daß man aus Erbschaftsgründen auf eine Ausbürgerung aus dem Herkunftsland verzichten kann. Dazu kommt, daß Kinder aus der immer größeren Zahl binationaler Ehen – eine Entwicklung, die innerhalb Europas weiter zunehmen wird – zumeist einen Rechtsanspruch auf zwei Staatsbürgerschaften haben.

Ein Europa, das zusammenwächst, verträgt eine nationalistische Definition der Staatsangehörigkeit einfach nicht mehr. JG