RichterInnen brauchen viel Courage

■ Neuland für das Gericht: Am Dienstag Entscheidung über Neuwahlen wegen CDU-Verfahren bei Kandidaten-Aufstellung

Entscheidung über Neuwahlen wegen CDU-Verfahren bei Kandidaten-Aufstellung

Nach menschlichem Ermessen wird das Hamburgische Verfassungsgericht am kommenden Dienstag die Bürgerschaftswahl vom Juni 1991 für ungültig erklären und Neuwahlen anordnen müssen. Juristen jedoch haben eine eigene Logik, und damit bleibt es spannend, ob das Gericht der Wahlanfechtung des CDU-Kritikers Markus Wegner stattgibt. Wegner war wegen der „undemokratischen“ Kandidatenaufstellung bei der CDU für die Bürgerschaft vor Hamburgs höchstes Gericht gezogen.

Der zweite Verhandlungstag endete gestern überraschend mit den Plädoyers der Verfahrensbeteiligten. Ursprünglich war dafür erst der heutige Freitag vorgesehen. Soviel stand vorgestern schon fest: Das Prozedere, mit der die Kandidaturen der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten 1991 vollzogen wurde, entsprach nicht demokratischen Grundsätzen und den einschlägigen Gesetzen. Nicht einmal die RichterInnen wollten es als „Wahl“ bezeichnen und benutzten lieber die Begriffe „Nominierung“ und „Aufstellung“.

Deshalb wurde gestern die damalige Landeswahlleiterin Barbara Bludau als Zeugin befragt, ob sie angesichts der bekannten Mängel, die CDU überhaupt hätte zur Bürgerschaftswahl zulassen dürfen. Ihre Antwort war eindeutig und ein unbeabsichtigter Wink an das Gericht, eine Änderung des Hamburger Wahlgesetzes zu fordern. Das jetzige lasse eine „Tiefenschärfe“ bei der Wahlprüfung nicht zu. Dazu sei das Verfahren, mit dem die Zulässigkeit von Wahlvorschlägen geprüft wird, zu sehr „formalisiert“.

Schließlich ging es um die Frage, ob die Bürgerschaft heute anders zusammengesetzt sein könnte, wäre bei der CDU alles korrekt gelaufen. Ein Punkt, der Neuwahlen rechtfertigen würde. Wegner erzielte bei dieser Diskussion dank seines Anwalts Trutz Graf Kerssenbrock einen weiteren Punktgewinn. Kerssenbrocks Argumentation: Fehler bei der Kandidatenauswahl dürften nicht sanktionslos bleiben, sonst würden die Parteien alles beim alten belassen. Eine demokratische Wahl hätte zudem Außenwirkung auf die Wähler – Stichwort „Parteienverdrossenheit“.

Kerssenbrock schloß nicht aus, daß eine CDU-Fraktion mit anderen Abgeordneten, eine andere Zusammenarbeit mit den übrigen Fraktionen zur Folge hätte. Und schließlich: Nur drei Prozent der Bundesbürger wären in Parteien organisiert, nur zehn Prozent davon aktiv. „Somit bestimmen 0,3 Prozent der Bevölkerung die Politik.“ Gerade deswegen müsse der „closed-shop-Mentalität“ der Parteien entgegen gewirkt werden.

Das Gericht will seine Entscheidung am kommenden Dienstag um 11 Uhr verkünden. Norbert Müller