Die Baulücken-Fahnder sind unterwegs

■ Arbeitsgruppe Baulücken beim Umweltsenator: Schon für 1.200 Wohnungen gesorgt / Nach der Neustadt ist jetzt Walle dran

Waller Heerstr. 25: „Mindergenutzt“ - der türkische Grundbesitzer will aufstockenFoto: K.H.

„Den kriegen wir auch noch rum“, nickt Karl seinem Kollegen Friedrich zu. Wenn die beiden Beamten durch Bremen streifen, schauen sie nicht auf Häuser, sondern dahin, wo keine stehen: in gammelige Höfe, in überwucherte Gärten, auf vollgeparkte Straßenecken zum Beispiel. Hanns-Peter Karl und Horst Friedrich sind nämlich Mitarbeiter der Arbeitsgruppe

Baulücken beim Umweltsenat.

Ist Baulücken-Füllen nicht Kleckerkram? „Ach wissen Sie, heute ärgert uns so eine Frage nicht mehr“, behauptet Karl. Aber einen roten Kopf bekommt er doch, wenn man „von den paar Baulücken“ spricht. Sicher, das Problem Wohnungsnot könne man mit dem Auffüllen von Baulücken nicht lösen. Aber sind denn die 1.200 Woh

nungen nichts, die seit Gründungder Arbeitsgruppe vor drei Jahren gebaut wurden? Mindestens 4.000 sollen es in den nächsten Jahren noch werden. Das ist doch schon ein Viertel der 16.000 Wohnungen, die die Stadt Bremen bis zum Jahr 2000 zum Beispiel durch entsprechende Bebauungspläne sicherstellen will.

Und für diese 4.000 Wohnungen muß keine grüne Wiese draußen vor der Stadt geopfert werden! „Wenn einer darüber lachen will, soll er lachen“, sagt Karl trotzig. Er und sein kleines Team jedenfalls knöpfen sich weiterhin Stadtteil für Stadtteil vor: Zuerst die Neustadt, jetzt Walle, anschließend sind Gröpelingen und Hemelingen dran.

Nicht nur unbebaute Grundstücke sind den Lückenfüllern ein Dorn im Auge, sondern genauso „mindergenutzte“: Kriegsgrundstücke oft, auf denen nur ein Kiosk steht, Autos parken oder ein einstöckiger Gewerbebetrieb steht. „Nicht im Sinne der Möglichkeiten“, lautet dann das Urteil der Arbeitsgruppe.

Als erstes emitteln sie den Eigentümer. Gar nicht so einfach, denn beim Katasteramt sind nur die Namen eingetragen - ohne Adresse. Fingerspitzengefühl und „gute Drähte zu den Nachbarn“ helfen weiter. Dann wird ein Brief losgeschickt, „sehr höflich“ werden die EigentümerInnen um Mitteilung gebeten, was sie mit dem Grundstück vorhaben. Antworten die EigentümerInnen nicht, bekommen sie ein Mahnschreiben. Ob sie nicht vielleicht bauen möchten, werden sie dann gefragt. Die Behörde wäre gern behilflich. Von den 85 erfaßten Waller LückenbesitzerInnen haben 26 einen solchen Mahnbrief bekommen.

Das alte Besitzerehepaar eines nur einstöckigen, ärmlichen Hauses läßt die Baulücken-Arbeitsgruppe allerdings in Ruhe. Das Image, alle Leute zum Bauen zu zwingen, das will man denn doch nicht. Hanns-Peter Karl versteht sich eher als Animateur für zögerliche BauherrInnen. Schließlich hat die Gruppe einiges zu bieten: einen Architekten, der sagt, was technisch möglich ist, einen Finanzierungsberater und eine Planungstechnikerin. Das Team geleitet Unerfahrene durch den Bauparagraphendschungel. Außerdem hat man beste Beziehungen zur Bremer Landesbank und zur Sparkase, die Zinsvergünstigungen für das Bauen in Baulücken bereitstellen.

Und ist einer nicht gleich willig, so versucht man, ihm das Bauen wirtschaftlich schmackhaft zu machen. Schließlich zahlt der Eigentümer Steuern auf das Grundstück, ohne etwas davon zu haben, erläutert der Finanzierungsberater Horst Friedrich. Er stellt eine Renditeberechnung an.

Allerdings kommt das Bauen in Baulücken teurer: Da müssen die Nachbarhäuser vor dem Ausheben der Baugrube gegen Einsturz geschützt werden. Die Einrichtung der Baustelle ist komplizierter, weil wenig Platz ist für Kräne und Baucontainer. Nicht zuletzt kann eine Altlastenbeseitigung tiefe Löcher in die Kasse reißen. Die Arbeitsgruppe Baulücken bemüht sich deshalb auf politscher Ebene um einen Zuschuß, mit dem die baulückenspezifischen Mehrkosten „in kleinem Maße“ abgedeckt werden könnten. Schließlich koste die Stadt ein Hausbau auf der grünen Wiese viel mehr, weil sie dort erst wieder für Infrastruktur (Schulen und Kanäle zum Beispiel) sorgen müßte.

Was aber, wenn einer partout nicht bauen oder seinen Flachbau aufstocken will? Für die Hartnäckigen gibt es den Paragraphen 176 im Baugesetzbuch: Im öffentlichen Interesse kann ein Grundstückseigentümer gezwungen werden, sein Grundstück zum Bauen zu verkaufen oder selbst zu bebauen. Die Behörde muß allerdings nachweisen, daß den BaubesitzerInnen das Bauen „objektiv wirtschaftlich zumutbar“ ist. Das persönliche Einkommen spielt für diesen Nachweis keine Rolle. Bietet die Stadt Förderungsmittel, muß gebaut werden. Als Eigenkapital wird dann der Wert des Grundstücks eingesetzt, erklärt Horst Friedrich. Ein Baugebot durchzusetzen kostet allerdings viel Arbeit und viel Zeit — mindestens vier bis sechs Jahre.

Bislang drohte die Arbeitsgruppe mit dem Baugebot nur. Schon die bloße Drohung ließ die Leute weich werden, erzählen Friedrich und Karl. Zweimal stand man kurz davor, dann wollten die Leute doch bauen. Sie hatten sich beim Anwalt kundig gemacht. „Ihr gewinnt ja doch“, sagten sie zu den Baulücken-BeamtInnen.

Manchmal ist es auch eine „biologische Frage“, sagt Architekt Karl: Die Oma will nicht mehr bauen, die Nachkommenschaft dagegen würde sofort. Gerade in Walle seien relativ viele EigentümerInnen alt und deshalb schwer zu motivieren.

Aber auch die Stadt ist manchmal schwer zum Verkauf oder Bebauen ihrer ihrer Lücken- Grundstücke zu bewegen: So machen sich auf einem städtischen Grundstück in der Karl- Peters-Straße schwarz gebaute Garagen breit. Nicht alle leeren oder untergenutzten Grundstücke jedoch eignen sich für Wohnhäuser: direkt neben den Bahngleisen etwa oder direkt gegenüber einem Bunker wie in der Grohner Straße. Von den 85 erfaßten Waller Baulücken sind allein neun für den Wohnungsbau ungeeignet. Sie verwildern manchmal zu städtischen Biotopen. Grundstücke, für die die Stadt Spielplätze oder Wege plant, sind ohnehin nicht in den Baulücken-Katalog aufgenommen worden.

Manchmal haben die Lücken- Fahnder auch bei anerkannten Baulücken ein Einsehen: Wie jüngst in der Neustädter Hohentorsheerstraße 136/138. Da steht eine alte Eiche auf dem Grundstück. „Nee, haben wir uns da gesagt, da gehen wir nicht ran.“ Zu ortsbildprägend war der Baum. Auch das bewaldete Grundstück in der Waller Straße 10 könnte so ein Fall werden — das letzte Wort darüber hat die Abteilung Naturschutz beim Umweltsenator. Christine Holch