Fremde Gewohnheiten

■ „Guten Morgen Berlin“: die deutsch-türkische Theaterinitiative „Theater Anatolien“ zeigt eine szenische Collage im Wasserturm

Ein paar Kinder möchten wieder und wieder Eintrittsstempel; an der Theke der Kneipe im Wasserturm sitzen Jugendliche und machen Späßchen. Nach diesem ozonreichen, heißen Aprilsonnabend trinken die Gäste noch was Kühles, bevor das Theaterstück „Guten Morgen Berlin“ beginnt. Ob sie aufgeregt sei, fragt noch eben ein Besucher die junge Akteurin neben ihm, dann ist auch schon Einlaß in den kleinen Theaterraum. Die Bühne: ein Podest, die Kulissen: buntbemalte Stellwände.

„Guten Morgen Berlin“ (Buch und Regie: Mehmet Esen) in der Inszenierung des Theaters Anatolien ist eine szenische Collage, die den Alltag ausländischer BerlinerInnen beleuchtet. Zwanzig Episoden, teils in deutscher, teils in türkischer Sprache, thematisieren den neuen Rassismus und erzählen über Fremdheitsgefühle und Identitätsprobleme von AusländerInnen in der Großstadt. Eine türkische Familie wird von einem Nazi belästigt und bedroht. Als er sein Messer fallen läßt, hebt der türkische Sohn es irritiert auf. Die Figuren erstarren in ihren Bewegungen.

Adolf Hitler ist als „Brandstifter“ wiederauferstanden. „Hat jemand mal ein Streichholz für mich“, fragt er ins Publikum und steckt flugs einen Kinderwagen in Brand. Gleichzeitig erzählt eine Mädchenstimme aus dem Off: In der BRD geboren und aufgewachsen, wird das Mädchen von den SchulkameradInnen nicht akzeptiert. In der Türkei kennt es Gewohnheiten und Bräuche nicht mehr und stößt auf Unverständnis. Ihre Frage „Gibt es kein Land, wo ich zu Hause bin?“ bleibt unbeantwortet.

Wie eine Leitfigur taucht immer wieder der „Psychiatrieinsasse“ auf und erzählt seine Geschichte. Er ist ein Weiser, der versucht, das Schweigen zu brechen. Aber wenn sein „Warum?“ zu störend wird, stößt ihn eine unsichtbare Hand mit dem Kopf in einen Zuber Wasser und bringt ihn so zum Verstummen.

„Guten Morgen Berlin“ ist trotz seines Ernstes nicht moralinsauer. Manchmal dagegen kabarettistisch, wenn beispielsweise Herr Müller und Herr Mayer beim Arbeitsamt über die Arbeitskraft des „Ausländers“ schwafeln. Herr Müller, oder war es Herr Mayer? – sucht für sein Restaurant türkische Arbeiter, denn: „Der Türke ist das Salz in der deutschen Einheitssuppe.“ Da tönt es aus dem Off: Arbeitskräfte zum Kartoffelernten gesucht, „deutsche Bewerber werden bevorzugt“. Als Herr Mayer dem Lautsprecher ein kerniges Fuck-off zeigt, gibt's kräftigen Szenenapplaus. Die Beziehung zwischen Publikum und Theaterensemble ist herzlich, wie man es eben nur vom Laientheater kennt. Auch nach der Schlußszene, in der die Gruppe noch einmal die Gleichgültigen und Schweigenden mimt und schließlich demonstrativ die Heftpflaster von den Mündern reißt, wird heftig geklatscht.

Es gibt sogar einen unbelehrbaren Zuschauer. Als Adolf Hitler auf Tuchfühlung mit einem Mann aus dem Publikum geht, weil er in ihm eines „seiner lieben Kinderlein, den deutschen Arier“ vermutet, brummt der Unbelehrbare „Wohl schwul, wa?“ Petra Lüschow

„Guten Morgen Berlin“ von Mehmet Esen: Am 2.5., um 20.00 Uhr im Wasserturm, Kopischstraße 7.