Stadtbild
: Eine Grabeskirche als Zentrum aller U-Bahnhöfe

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (Folge 26): Dem U-Bahnhof Alexanderplatz fehlt Vitalität

Berlin. Der U-Bahnhof Alexanderplatz ist das geheime Zentrum im eisernen Netz unterirdischer Gleisanlagen, Schienenstränge und Verbindungstunnel. Nicht die Stationen unter der Friedrichstraße oder am Wittenbergplatz bilden das Herz des Berliner Metrosystems. Unter dem Alex haben alle rollenden Energien ihren Ursprung. Der schnelle Rhythmus auf Rädern zieht fünf Adern gleichzeitig an. Im Licht der großen Bahnsteige schimmern die Gleise und streuen helle Linien in das schattige Gewirr der stählernen Säulenhallen der U-Bahn-Kathedrale.

Das Verkehrsbauwerk U- Bahnhof Alexanderplatz ist nicht nur ein Höhlengleichnis. Die Tunnelanlage unter dem großen Platz stellt vielmehr eine sachlich- nüchterne Verkehrsmaschinerie dar. Sie ist ein für Verkehrsströme konzipiertes Bauwerk, das in einem unterirdischen Betonquader ruht. Durch ihn hindurch stoßen Röhren und liegen Hallen. In ihm finden sich Plätze und Bauten mit Wohnungen und Geschäften, führen Straßen und Treppenanlagen, die den Kreuzungspunkt zu einer abgesenkten Stadt mit vielen Stockwerken werden lassen. 1910 begannen die Bauarbeiten für den U-Bahnhof, als die Linie A (U2) vom Gleisdreieck nach Pankow erweitert wurde. Noch im gleichen Jahr sollten die Planungen für die Neuköllner Linie (D/U8) beginnen. Der Erste Weltkrieg verzögerte die Inbetriebnahme bis zum Jahr des ersten großen Umbaus am Alex im Jahre 1930. Ebenfalls 1930 eröffnete die Strecke (E/U5) zum Frankfurter Tor. Diese Planung reicht bis in das Jahr 1908 zurück und bewirkte, daß der U- Bahnhof für die Kreuzung dieser Linie gleich mehrgeschossig ausgebaut wurde.

Das rechteckige Verkehrsgebäude unter dem Alexanderplatz zieht sich über Plattformen, Verbindungsbauten, Treppen und Schächte in eine Tiefe von 20 Meter. Die langen Säulenhallen werden gekreuzt von zwei breiten Querschiffen, die die Bahnsteige der Nord-Süd-Fahrten aufnehmen. Fünf eingleisige Verbindungstunnel für den Fahrzeugaustausch und ein seit dem zweiten Umbau 1968 entstandenes Wegesystem für neue Zu- und Abgänge komplettieren die Anlage.

Doch die unterirdische Welt verkörpert durch ihre strenge Linearität, die abzweigenden „Rippen“ und ihre schwache Beleuchtung auf merkwürdige Weise eine sakrale Atmosphäre, die einer Grabeskirche ähnelt. Gleich einem Totenreich scheinen die steilen Rolltreppen, langen Wege und Tunnel in den Hades zu führen. Den großen Bahnhof prägt eine finstere kalte Welt, der das Leben abhanden gekommen ist. Maß man in den dreißiger Jahren die Fahrten in Milliarden, so macht heute der lange Takt den Aufenthalt zur Geduldsprobe. Also bleiben die Nutzer aus. Der Versuch, mit Zeitungsläden, Geschäften und Würstchenbuden Farbe und Licht in die grünblaue Unterwelt zu bringen, hat nur wenig Abhilfe schaffen können. Es bleibt der fahle Charme von B- Ebenen. Der dritte Umbau des Alexanderplatzes wird derzeit ins Auge gefaßt. Er könnte Licht ins unterirdische Dunkel leiten, damit wieder vitale Energien durch die Röhren rauschen. Rolf Lautenschläger