Auf die, die widerstanden, damals wie heute

■ betr.: "Widerstand als Sinngeburt" von Dan Diner, taz vom 17.4.93

betr. „Widerstand als Sinngebung“ von Dan Diner,

taz vom 17.4.93

[...] Ich glaube schon, daß Dan Diner weiß, wovon er spricht. Doch ich glaube auch, daß an solchen Tagen wie dem 50. Gedenkfeiertag des Warschauer Aufstandes einige Aspekte lieber unter den Teppich gekehrt werden, auch von linken Autoren und Historikern.

Emmanuel Ringelblum, der als linker Zionist das Archiv des Ghetto-Untergrundes verwaltete und drei Jahre lang im Untergrund kämpfte, bevor er schließlich von den Nazis geschnappt und getötet wurde, schrieb 1942 über die damalige Stimmung im Ghetto:

Die Mehrheit der Juden verstand, daß es ein fürchterlicher Fehler gewesen war, gegen die SS keinen Widerstand zu leisten... Wenn ein jeder die Nazis mit Messern, Keulen, Schaufeln, Beilen angegriffen hätte; wenn wir die Deutschen, Ukrainer, Latvianer und die Jüdische Ghettopolizei mit Säure, geschmolzenem Pech, kochendem Wasser usw. empfangen hätten – kurzum, wenn Männer, Frauen, Kinder, Jung und Alt, in einer einzigen Erhebung aufbegehrt hätten, dann hätte es keine 350.000 Tote in Treblinka, sondern lediglich 50.000 Erschossene in den Straßen von Warschau gegeben. (entnommen aus: Vorwort von John Rose in Marek Edelmann, „The Ghetto Fights“, London 1990).

Der BUND rief zum Widerstand auf, konnte sich mit seinen Vorstellungen jedoch erst durchsetzen, als das Ghetto auf lediglich 60.000 Menschen zusammengeschrumpft war.

Was die Judenräte, die Dan Diner in seinem Artikel zu entschuldigen sucht, in dieser Situation taten, war folgendes:

Am 22. Juli 1942, um zehn Uhr morgens, hielten deutsche Autos vor den Gebäuden des Judenrats. Die Mitglieder des Umsiedlungsstabs betraten das Haus. Nach einer kurzen Unterredung trugen die Deutschen den Mitgliedern des Judenrats ihren Wunsch vor. Es war ganz einfach: alle „unproduktiven“ Juden sollten irgendwohin in den Osten deportiert werden. Die Deutschen gingen, und eine weitere geheime Sitzung wurde abgehalten. Doch kein einziges Ratsmitglied blieb bei der fundamentalen Frage stehen – nämlich ob der Judenrat die Befehle überhaupt ausführen solle... Am folgenden Morgen machten große weiße Plakate mit der Unterschrift des Judenrates [...] der jüdischen Bevölkerung klar, daß alle, mit Ausnahme derjenigen, die für die Deutschen arbeiteten (hier folgte eine detaillierte Liste aller Arbeitsstätten, die von dem Befehl nicht tangiert waren), Angestellte des Judenrats und die ZSS (Jüdische Hilfsorganisation) Warschau verlassen müßten. Die Jüdische Polizei wurde von der Kommission beauftragt, die Deportationsbefehle auszuführen, und die Befehlsinhaber sollten mit dem Umsiedlungsstab in Kontakt bleiben. Auf diese Weise brachten die Deutschen den Judenrat dazu, eigenhändig 300.000 Ghettobewohner zum Tode zu verurteilen. (aus M.Edelmann, „The Ghetto Fights“)

In der Tat hatte sich der Judenrat dazu verpflichtet, 6.000 Juden täglich abzuliefern. Dan Diner jedoch schreibt: Die Auseinandersetzung zwischen militärischem Untergrund und „Judenräten“ in den Ghettos, die durch nachgiebiges Hinhalten Zeit zu gewinnen und damit zumindest die Möglichkeit der Lebensbewahrung zu erhalten suchten, läßt sich jeweils nur im Einzelfall angemessen beurteilen.

Dazu kann ich nur sagen: Wie kann Dan Diner von Einzelfällen reden, wenn von Massenvernichtung und gar Totalvernichtung die Rede ist? Weiterhin schreibt Diner: Die dabei (bei Hanna Ahrendt in ihrem Eichmann-Buch) untergründig anklingenden Vorwürfe von „Verrat“ und „Kollaboration“ verweisen wohl eher auf die Illusionen eines nationalen Selbstbildes und den darin idealiter beschlossenen Reaktionsweisen denn auf die Umstände, in denen sich die Juden Europas 1941 bis 1945 befanden.

Ich kann nicht beurteilen, ob Hannah Ahrendt sich in ihrem Eichmann-Buch Illusionen macht, jedoch ist es wirklich ekelerregend, wie Diner das Verhalten der Judenräte, das durch nichts zu entschuldigen ist, verteidigt. Denn daß die Judenräte eine Schlüsselrolle im Ausrottungsprogramm einnahmen, die die Nazis für jedes Ghetto einsetzten, verschweigt Diner. Der Judenrat diente als Instrument, die Ruhe zu bewahren. Er wiegte sowohl Junge wie Alte in einem falschen Sicherheitsgefühl, damit sie nicht an Rettungsmaßnahmen dachten. Unglücklicherweise waren die meisten Mitglieder der Judenräte Zionisten. Sie dachten, daß sie mit der Zusammenarbeit mit den Deutschen etwas Gutes täten. Durch die Aufstellung von Listen von Juden, die in den Tod geschickt wurden, glaubten sie, andere Juden zu retten. (aus: Reb Moshe Shonfeld: „The Holocaust Victims accuse“, New York 1977). Die Agudah Partei (die nach der Staatsgründung in Israel zu einer angesehenen Partei wurde) half den Nazis bei der Unterdrückung des Warschauer Widerstandes, indem sie ihren zahlreichen Gefolgsleuten erzählte, daß das Ghetto nicht nur die Strafe des Herrn für das Aufgeben der Orthodoxie und den Atheismus der Juden sei, sondern ein verschleierter Segen, um die Juden in den Stand der Frömmigkeit zurückzubringen. (aus Reuben Ainsztein: „Jewish Resistance in Nazi-Occupied Eastern Europe“, London 1974) [...]

Der Staat Israel, der aus der reaktionären Ideologie des Zionismus von Theodor Herzl erwachsen ist, beansprucht heute für sich den Warschauer Aufstand als ein Symbol des „jüdischen“ Widerstandes. Doch wo waren die Zionisten in diesen schweren Stunden? Wo waren die Waffen, die sie den Aufständischen hätten liefern können, als diese sie so nötig hatten?

Für die Zionisten und der sie vertretenden „Jewish Agency“ lag die Lösung der Judenfrage außerhalb Europas, nämlich in der Emigration einiger junger Juden (sogenannter Pioniere) nach Palästina auf Kosten der Millionen Juden, die in Europa nicht ohne Unterstützung der Jewish Agency in den Gaskammern umkamen. Das einzige Ziel der Zionisten war es zu dieser Zeit, einen Judenstaat in Palästina zu errichten. Die Jewish Agency hatte nicht zum Aufstand gegen den Nazismus aufgerufen, und es gibt auch keinen Bericht darüber, daß sie irgendeinen Versuch machten, beispielsweise Waffen zu den Ghettokämpfern zu schmuggeln, die diese so dringend benötigten. (aus: Faris Glubb: „Die Zionisten und Nazideutschland“. F. Glubb ist britischer Schriftsteller und Historiker) Weiter schreibt Glubb: Einer ihrer Führer, Yitzhak Greenbaum, der zum Vorsitzenden eines Komitees ernannt wurde, das die Zionisten angeblich zur Rettung der europäischen Juden einsetzten, sagte, daß nichts, nicht einmal die Rettung der europäischen Juden, dieses Ziel (die Staatsgründung Israels) in den Schatten stellen dürfen sollten: Mit seinen Worten (zitiert aus einer Rede im Jahr 1943, Tel Aviv, über „Diaspora and the Redemption“): Wenn sie mit zwei Plänen zu uns kommen – die Rettung der Massen der Juden in Europa und die Erlösung des Landes –, stimme ich, ohne Zögern, für die Erlösung des Landes. Je mehr über die Ermordung unseres Volkes geredet wird, desto mehr minimisieren wir unsere Bemühungen zur Stärkung und Betreibung der Hebräisierung des Landes. Wenn es heute eine Möglichkeit gäbe, Freßpakete für hungernde Juden (unter der Naziherrschaft) mit dem Geld der Keren Hayesod (United Jewish Appeal) zu kaufen, um es über Lissabon zu verschicken, würden wir das tun? Nein! Und noch einmal nein!

Es ist merkwürdig, daß wenige Leute fragten, ob ein Mann mit solchen Ansichten der richtige in einer Organisation war, die theoretisch für Rettungsarbeit zuständig war.

[...] Zum Gedenken an die Bewohner des Warschauer Ghettos, die im passiven und aktiven Widerstand gegen die Nazis vor 50 Jahren gestorben sind, müssen diese Wahrheiten jedoch auf den Tisch gebracht werden, um zu unterlegen, wie wichtig es im Kampf gegen Faschismus ist, den Anfängen in solidarischen Bündnissen querfeldein durch alle politischen Parteien, Organisationen und Einstellungen zu wehren. Judith Previdi, Mitglied der

Sozialistischen Arbeitergruppe,

Frankfurt am Main

[...] Beinahe eine ganze Seite hilflose Wiederholung der schönen These, angesichts der gigantischen Todesmaschinerie zur Vernichtung der Juden sei Widerstand nicht nur schwierig gewesen (wen überrascht das?), sondern auch Selbstzweck – eben „Widerstand als Sinngebung“. Natürlich ist Widerstand vor allem zur Rechtfertigung der eigenen Existenz da – denn Widerstand entsteht ja immer da, wo die Gegner in der Überzahl sind. Widerstand leistet der Verzweifelte, nicht aber der Zuversichtliche.

Die pseudohistorisierende Einreihung des Widerstandes von Juden in den Jahren 1941–45 in die von Widerstand gegen Vertreibung und Diskriminierung gekennzeichnete Geschichte der europäischen Juden, wird von Diner selber durch seinen ständigen Verweis auf die außergewöhnliche Systematik der Hitlerschergen in ein etwas schiefes Licht gerückt. Vor allem aber wenn man die Äußerungen von Marek Edelmann der von Diner aufgeworfenen Frage nach dem unmittelbaren Sinn des Ghettoaufstandes gegenüberstellt, wird schlagartig die hohe Sensibilität, die das Thema fordert, offensichtlich. Edelmann fühlt sich persönlich angegriffen, wird aufbrausend auf die Frage hin, warum der Aufstand denn so spät ausgebrochen sei.

Und spätestens da habe ich mir überlegt, warum wir vielzitierten Nachgeborenen eigentlich immer so verdammt klug über die Taten und Leiden unserer Vorfahren drüberscheißen – alles in Frage stellend, ewige Zyniker und Drübersteher. Wichtig ist doch einzig und allein, daß sie widerstanden. Ich erhebe mein Glas auf die, die widerstehen, damals wie heute. Viola Zwittmann, Erlangen