„Die Presse steuerte das Opfer“

■ Plädoyers im Prozeß gegen IG-Metall-Sekretär

Berlin (taz) – Die Frauen von der IG Metall auf den Zuhörerbänken hatten Blumensträuße für die Nebenklägerin Angelika R. mitgebracht. Die nette Geste der Solidarität erfolgte ein bißchen zu früh, denn entgegen den Erwartungen fällte das Berliner Landgericht gestern noch kein Urteil gegen den IG-Metall-Sekretär Detlef K., angeklagt wegen sexueller Nötigung seiner früheren Kollegin (taz von gestern). Grund: Seine Verteidigung hatte in ihrem Plädoyer Hilfsbeweisanträge gestellt, denen das Gericht stattgab.

Staatsanwältin Splett hatte zuvor zwei Jahre auf Bewährung nebst einer Geldbuße an die Nebenklägerin und den Weißen Ring beantragt. Das sei ihr nicht leicht gefallen, bekannte sie, denn die Tat sei gravierend gewesen und habe „erhebliche psychische Folgen“ für das Opfer gehabt. Der Gewerkschaftsfunktionär habe das „Vertrauen unter Kollegen ausgenutzt“ und die bei einer Heimfahrt von einer Betriebsfeier in seinem Auto eingeschlafene Frau gewürgt, in „Todesangst“ versetzt und mit den Worten „wenn du schön artig bist, dann passiert dir nichts“ gezwungen, seinen Penis in den Mund zu nehmen. An ihrer Glaubwürdigkeit könne nach allen Zeugenaussagen kein Zweifel bestehen. Allerdings seien die Schwierigkeiten, die die IG Metall ihr seitdem bereitet habe, „nicht dem Angeklagten zuzurechnen“. Der „Gipfel“ sei der Versuch ihres Bundesvorstandes gewesen, „Gewerkschaftsdisziplin“ einzufordern und sie anstelle des Täters zu versetzen.

Nebenklagevertreter Ratzmann hingegen wollte kein konkretes Strafmaß fordern. Nach den unerhörten innergewerkschaftlichen Angriffen auf sie sei die Tatsache einer Verurteilung für Angelika R. am wichtigsten – „als Beweis dafür, daß sie niemand zu Unrecht beschuldigt hat“.

Doch just das versuchten Verteidiger Bärlein und Verteidigerin Müller in ihrem auf Freispruch plädierenden Schlußvortrag zu unterstellen. Einen Kuß oder Kußversuch interpretierte der Anwalt als „erotisierende Situation“ und das Würgen, an das sich der Angeklagte „nicht erinnern“ konnte, als „Zärtlichkeiten“. Angelika R. habe eben verdrängt, wieviel „freiwilligen Anteil“ sie am Geschehen gehabt habe – angesichts dieser neuerlichen Demütigung des Opfers hielt es viele Zuhörerinnen kaum auf den Sitzen. Im übrigen, so Bärlein weiter, habe „die Presse das Opfer gesteuert“, indem sie nach dem Kuß eine Distanz zwischen den beiden herbeigedichtet habe. Der Angeklagte schloß sich in seinem Schlußwort diesen Ausführungen ausdrücklich an. „Gewalt“, betonte er theatralisch, „widerspricht meinem ganzen Wesen.“ Ute Scheub