Schwerer Studienalltag für Behinderte

Auf dem Papier steht den rund 6.000 behinderten StudentInnen an der FU ein Nachteilsausgleich zu, doch die Praxis sieht anders aus / Schwierigkeiten mit den Prüfungen und Gebäuden / Drei Anlaufstellen helfen bei Problemen  ■ Von Susanne Stein

Berlin. „Die Hochschulen berücksichtigen die besonderen Bedürfnisse behinderter Studenten und Studentinnen (...) Für die Durchführung des Studiums und der Prüfungen sind geeignete Maßnahmen zu treffen, die (...) einen Nachteilsausgleich gewährleisten.“

Für die circa 6.000 behinderten Studenten an der FU muß dieser Auszug aus dem Berliner Hochschulgesetz oft wie eine ferne Zukunftsvision wirken. Die Wirklichkeit indes sieht ganz anders aus. Was macht ein Rollstuhlfahrer, der an einem x-beliebigen Fachbereich studieren möchte und feststellt, daß dieser ihm verschlossen bleibt, da er nur über Treppenstufen erreichbar ist? Was macht eine sehbehinderte Studentin, der es unmöglich ist, die kleingedruckten Seminarmanuskripte zu lesen?

Sie können sich beispielsweise an Georg Classen, den Behindertenbeauftragten der FU, wenden. Der Diplom-Pädagoge setzt sich unter anderem dafür ein, daß Behinderte unter gleichwertigen Bedingungen wie Nichtbehinderte studieren können. Sein Aufgabengebiet ist vielfältig: „Ich bin gleichzeitig Sozialarbeiter, Öffentlichkeitsarbeiter und technischer Berater.“ Seine Hauptaufgabe sieht er jedoch in der Öffentlichkeitsarbeit. Das bedeutet zunächst, bekanntzumachen, welche Möglichkeiten Behinderte an der FU haben – von der Beratung über Serviceeinrichtungen für Sehbehinderte bis hin zum Hochschulsport.

Mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit versucht Classen auch das Klima an der FU zu verbessern: „Da könnte sich noch einiges ändern zwischen Dozenten und behinderten Studenten, aber auch zwischen Nichtbehinderten und Behinderten.“ Um diesen Akzeptanzproblemen beizukommen, wünscht er sich, daß Dozenten in dieser Richtung geschult werden. Zur Klimaverbesserung sollen aber auch technische Veränderungen beitragen. So wurden durch Classens Einsatz verschiedene Behindertenparkplätze und Toiletten eingerichtet. In der Universitätsbibliothek gibt es endlich einen Aufzug, und in der Mensa ist einer im Bau.

Daß sich noch einiges an der FU ändern muß, um wirklich behindertengerecht eingerichtet zu sein, weiß er, aber er ist auch auf die Mitarbeit der Studenten angewiesen: „Die Studierenden müssen natürlich erst einmal zu mir kommen und sagen, was sie brauchen. Nur so kann ich etwas durchsetzen.“ Um bei geplanten Unibauten die Belange Behinderter zu berücksichtigen, hat die FU ein Architekturbüro zur technischen Beurteilung und Problemlösung bei Neubauten und Sanierungsmaßnahmen beauftragt.

Doch selbst wenn es gelingen sollte, die FU künftig behindertengerecht zu gestalten, so sind Behinderte noch vor eine Reihe anderer Probleme gestellt: Sich überhaupt an der Uni zurechtzufinden, Schwierigkeiten, die bei der Prüfung entstehen, oder die Finanzierung der behindertenbedingten Mehrkosten. Für diese sozialen Fragen engagieren sich die Behindertenberatung des Studentenwerkes und die „Interessengemeinschaft behinderter Studenten und Studentinnen an der FU“. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeauftragten, der eher versucht, übergreifend als individuell zu wirken.

In der seit 1982 bestehenden „Interessengemeinschaft“ berät der sehbehinderte Jurastudent Peter Dietrich seine Kommilitonen, der selbst nicht Behinderter genannt werden will. „Ich bezeichne mich selbst als Krüppel, weil das Wort Behinderter unsere Situation beschönigt, an der sich noch viel zu wenig zum Besseren geändert hat.“ Er steht nicht nur während der Sprechzeit zur Verfügung, sondern begleitet auch bei Behördengängen oder führt schon einmal Gespräche mit Dozenten, etwa wenn es darum geht, schriftliche Prüfungen von sehbehinderten Studenten in mündliche umzuwandeln. Außerdem gibt er wichtige Tips über den Anspruch auf technische Hilfsmittel, Führerschein und Pflegehilfe.

Er will so Studenten helfen, ihren Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich durchzusetzen. Dabei wehrt er sich gegen Sonderregelungen für Behinderte: „Mitleid nach dem Motto ,Ach die armen Behinderten‘ brauchen wir nicht. Wir wollen nur, daß es eine verstärkte Umsetzung des gesetzlich vorgeschriebenen Nachteilsausgleiches gibt.“

Beautragter für Behindertenfragen an der FU: Georg Classen, Thielallee 38, 1000 Berlin 33, Zi. 216, Tel. 838 52 92;

Serviceleistungen für blinde und sehbehinderte Studierende: Thielallee 38, 1000 Berlin 33, Zi. 216–218, Tel. 838 21 22;

Interessengemeinschaft behinderter Studentinnen und Studenten an der FU: Peter Dietrich, Habelschwerdter Allee 45, 1000 Berlin 33, Tel. 838 62 03, Raum K 30/13