Fäuste und Ketten gegen türkische Schüler

■ Auf dem S-Bahnhof Ahrensfelde verletzten Skinheads eine Kreuzberger Schülergruppe und einen Lehrer schwer / Die Umstehenden sahen tatenlos zu / Ein Augenzeugenbericht des Lehrers Helmut Majewski

Am Abend des 20. April wurde eine Gruppe dänischer SchülerInnen auf dem Weg zu ihrem Jugendhotel in Mahlsdorf von Skindheads überfallen und verprügelt (siehe taz vom 24. April). Neun Tage später, am hellen Nachmittag, griffen auf dem S-Bahnhof Ahrensfelde sieben Skins eine Gruppe von türkischen Schülern der Ferdinand-Freiligrath-Oberschule in Kreuzberg an. Sie kehrten gerade von einem Freundschaftsbesuch bei der 1. Realschule Marzahn zurück. Zwei Schüler und ein Lehrer wurden verletzt. Wir veröffentlichen im folgenden einen gekürzten Bericht des zweiten und unverletzt gebliebenen Lehrers.

Am 29. April besuchten wir eine Klasse der Marzahner Realschule. Es war ein Gegenbesuch und uns wichtig, gerade wegen des nicht einfach hinzunehmenden ausländerfeindlichen Klimas „im Osten“. Mein türkischer Kollege hatte vorher noch geplant, aus Sicherheitsgründen ein D-Netz-Telefon mitzunehmen, aber dann dachte ich, am Tage wird doch nichts passieren. Der Tag begann auch schön mit ausgiebigem gemeinsamen Frühstück, Schulbesichtigung und Spaziergang. Zurück zum S Bahnhof Ahrensfelde begleiteten uns drei Marzahner Schülerinnen. Sie gingen mit vier von unseren Jungen Fahrscheine kaufen. Mein türkischer Kollege und vier unserer Mädchen gingen schon auf den Bahnsteig, wo ein Zug wartete.

Auf dem Bahnsteig gegenüber stand eine gemischte Gruppe von Skinheads mit zwei Hunden. Sie fingen sofort an zu pöbeln. „Verpißt euch, geht in eure Heimat, ihr Türken.“ Mein Kollege und ich rieten unseren Schülerinnen, sich nicht provozieren zu lassen, was ja an sich schon ein beklemmendes Zugeständnis an die politische, unmenschlich rassistische Situation in „unserer“ Stadt ist. Aber die Skins riefen nur „halts Maul“ herüber.

Dann wollte einer zu uns, quer über die Bahngleise. Doch eine Bierflasche fiel herunter und zerbarst, daraufhin tobte er über die Treppe. Ich sah nur dieses entmenschlichte Wesen an mir vorbeirennen und wußte sofort: Das gibt Ärger. Aber unvorbereitet auf den Ernstfall tat ich das Falsche. Anstatt unsere Gruppe zusammenzuhalten, lief ich zum S-Bahn- Fahrer und bat ihn, die Polizei zu rufen. Er aber fragte: „Ist jemand verletzt?“ Ich wollte wissen, ob er erst warten wolle, bis jemand verletzt sei, worauf der Fahrer meinte, daß er die Polizei nicht rufen könne. Warum, habe ich mir nicht mehr angehört (vielleicht, weil die Gruppe dort öfters rumhängt). Aber auf die Idee, die Notbremse zu ziehen oder im Cockpit zu randalieren, um ihn zum Handeln zu zwingen, bin ich auch nicht gekommen. Ich rannte also wieder zurück – und da war es schon geschehen. Die Mädchen hatten sich bis zum Ausgang zurückgezogen. Mein Kollege versuchte mit einem Neo- Skin, der eine Fahrradkette schwang, zu reden. Aber da war ein zweiter Skin mit nackem Oberkörper gekommen und schlug meinen Kollegen völlig unvermittelt mit der Faust ins Gesicht und einen Zahn aus. Er blutete, als ich endlich dazukam. Ein Passant, der einen eingegipsten Arm hatte, half uns, die Skins von weiteren Prügeleien abzuhalten. Inzwischen hatten die Mädchen der Gruppe einen Feuerwehrwagen angehalten, und die Fahrer benachrichtigten die Polizei.

Die Taxifahrer am Bahnhof reagierten auf den Vorfall überhaupt nicht, und auch die Bauarbeiter, die dort herumstanden, verhielten sich still. Sie hielten es wohl für normal, daß Türken „aufgemischt“ werden. Kein Wunder, daß die Skins bei einem dermaßen passiven Klima in aller Seelenruhe auf dem Bahnsteig blieben. Dort hatten sie Zeit, den Rest unserer Gruppe, die von einer anderen Seite auf den Bahnsteig kamen, zu vertreiben. Dabei wurde ein Schüler ebenfalls ins Gesicht geschlagen. Er erhielt eine Platzwunde am Auge.

Nun waren wir wenigstens alle wieder zusammen. Ein Mädchen erlitt einen Schock, andere weinten vor Aufregung. Die Polizei kam zehn Minuten später mit Mannschaftswagen und Kleinbussen. Sie nahmen zwei der Skins fest, notierten von den anderen die Personalien. Wir wollten mit dem Taxi weg, aber dann hieß es, der Staatschutz nimmt sich der Sache an. Also wurden wir alle, einschließlich der Skins, auf das Hauptrevier gebracht. Beim Einsteigen in den Polizeiwagen meinte einer der Schläger, daß mein Kollege „noch zu viele Zähne habe“.

Nach einer Stunde Wartezeit und nach einer weiteren Stunde Befragung wurden wir entlassen. Eine Streifenwagenführerin sprach uns ihr Bedauern aus und beklagte, daß ihnen aus juristischen Gründen die Hände gebunden sind und daß sie die Täter bald wieder freilassen müßten. Man versprach uns Begleitschutz bis nach Hause, aber beim Bahnhof Jannowitzbrücke waren die drei Polizisten plötzlich verschwunden. Vielleicht weil wir fast im „freien“ Westen waren? Helmut Majewski, Lehrer

der Ferdinand-Freiligrath-

Oberschule in Kreuzberg