■ Querspalte
: Linke Kleiderordnung

Unter dem Schein des Immergleichen verbergen sich Zeitströmungen, denen sich auch undogmatische Erste-Mai-Demonstrationen nicht entziehen können. Durchaus modern inzwischen geben sich deren auffallend hübsche TeilnehmerInnen. Sonnenbrillen, elegante schwarze Gangsterhalstücher, zwei braune Mönchskutten, kurze Röcke, sonnen- und luftfreundliche Popstar-T-Shirts und Baseballmützen vermischen sich in einem äußerst sympathischen Patchwork widerständiger Minderheiten und Jugendkulturen. Zum Zeichen, daß man auch dem Siebziger-Jahre-Revival aufgeschlossen gegenübersteht, riecht es irgendwo zwischen einigen Che-Guevara-Fahnen und Buttons nach Patchouli. Viele der GenossInnen aus dem schwarzen Block lassen diesmal ihr bäuerlich-finsteres Landsknechtsoutfit zu Hause und blinzeln statt dessen freundlich in die Sonne. Nur am Rande stehen zwei Männer, die stolz auf ihrem T-Shirt verkünden: „Ich bin scheiße.“

Die GenossInnen aus dem Lautsprecherwagen („Sofortige Wahlen in Südafrika“, „Männer raus aus Frauenblock“, „Bullen raus!“) verzichten endlich auf das scheppernde Abdudeln peinlicher Ton- Steine-Scherben-Oldies. Statt dessen setzen sie (wie die agitatorisch raffinierteren „RIM“-Stalinisten seit ein paar Jahren) auf HipHop und Reggae. Gedichte, die auf der NOlympia-Demo laut noch Glücksmomente dufter Gemeinschaft im Schlachtengetümmel oder „das Kribbeln im Bauch“ beschworen, das dich und mich erfaßt schon am Morgen des 1. Mai, bleiben diesmal auf dem Papier der Roten Fahne: „40 Jahre ist kein Alter, Du sitzt immer noch am Schalter/ um Dein Leben zu genießen und im Klassenkampf zu sprießen/ Drum feiern wir am 1. Mai, und alle sind mit dabei.“

Nur ein paar ewige Söhne, die auf militärische Vereinheitlichung dringen, nerven mit ödipalen Konflikten: Wütend erregt sich ein Bayer, daß hier „der schwarze Block“ wäre. Hier sei kein Platz für „einzelne“, und man solle sich gefälligst einhaken oder „abhauen“, denn die Bruderhorde interessiert sich nicht so sehr für konkrete lokale Schweinereien, sondern eher für die Austragung symbolischer Generationskonflikte (Vater=Bulle). Schön wäre es, wenn man als Vater den Vater bekriegen könnte: „Wenn wir genauso ausgerüstet wären wie die Bullen. Jeder Demonstrant mit zwei Handgranaten.“ Während zwei Pornowasserwerfer früh am Morgen ein letztes Mal durch die Gegend spritzen, wiederholt eine Frau vor dem „Madonna“ ganz stolz ihren Gedanken. Detlef Kuhlbrodt