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Abscheu und Neugier

Nach sechs Jahren im Museum: das Siemens Fotoprojekt  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Wenn Frank Zappa auf das Frankfurter Ensemble Modern trifft, Henryk Baranowski seine Joyce-Interpretation im Theater zeigt oder eine Ausstellung „Seh- Texte“ konkrete und visuelle Poesie veranschaulicht, ist der Siemens-Konzern mit seinem Kultursponsoring dabei. Der Elektro- und Elektronikgigant weiß, daß an der Nahtstelle Kultur Mißtrauen in Identifikation umschlägt. Und anders als zum Beispiel American Express – Rembrandt, Leibovitz – stürmt Siemens nicht an die herausgeputzte Tafel, um sich eitel als Gastgeber zu gerieren. Das Unternehmen leistet sich vielmehr, unter der Leitung von Michael Roßnagl, ein paar Leute zu beschäftigen, deren Horizont nicht mit PR-Planken verblendet ist.

Das Siemens Foto Projekt hat vor sechs Jahren begonnen. Offenbar war anfangs an kommunale Projekte gedacht: Andreas Horlitz hängte seine Aufnahmen am Standort Amberg als kleine Leuchtkästen in diverse Flure, offensichtlich bemüht, die Angestellten der Firma in sein Rätsel-Projekt zu verstricken, in dessen Zentrum – wenn man die Aufnahmen der Installation im Katalog sieht – wohl Augenpaare standen. Aber nicht alle Projekte der letztlich auf achtzehn angewachsenen Fotografenschar waren auf kommunikatives Recycling angelegt; und vielleicht muß man über das ganze Projekt sagen, daß es von Siemens weggeführt hat; kaum eine(r) der Fotografierenden hat den Vorschlag der Firma, an einem Standort „eine fotografische Aussage zum Thema ,Mensch, Umwelt und Technik‘“ zu erarbeiten, im naheliegenden narrativen Sinn verwirklicht. Was natürlich damit zu tun hat, daß nicht die besseren Journalisten gefragt wurden, sondern eben Künstler, die die traditionellen Gattungen (Portrait, Landschaft) stärker internalisiert haben. Und deren Herausforderung offensichtlich darin bestand, die Besichtigungstouren zu nutzen und sich für ihre künstlerische Arbeit von Siemens auch bezahlen, ansonsten aber nicht weiter stören zu lassen; also: „Bilder zu machen“, wie Michael Schmidt, der Berliner Fotograf, artikuliert.

In der Person Thomas Weskis konturierte sich das Projekt, von dem damals noch niemand wissen konnte, daß es zu einem konkurrenzlosen Förderprogramm in diesem Bereich werden würde. Weski, mit 35 Jahren Dozent und gleichzeitig noch Student für Visuelle Kommunikation in Kassel, war im Sommer 1988 der dritte Fotograf bei Siemens, zu Gast in drei Betrieben in Mittelbaden. Seine Bilder – Einzelbilder, Diptychen und Triptychen in teils dunkel leuchtenden, teils extrem fahlen Farben – zeigen die Werke in perspektivischer Collage, auf der Suche nach dem plausiblen Zufall, die Gesichter verstellt durch Gerät im Vordergrund, Aussicht gebrochen durch Spiegelung, Durchsicht gestört durch Zeichen auf Glas.

Spätestens als Weski im folgenden Jahr Kurator des Projektes wird, ist klar, daß die Firma sich damit abfindet, eine Farben- und Formenfundgrube für formal geschulte Fotograf(inn)en zu sein, ohne daß die Bilder selbst Teil der Selbstdarstellung, Baustein der Corporate identity werden könnten. Es geht nicht um eine Darstellung repräsentativer Architektur, freundlicher Menschen an hellen Arbeitsplätzen, imposanter technischer Abläufe oder der sozialen Dienste. Andererseits ist natürlich mit der Subjektivierung des Blicks der Konzern erst zu einem Ort des Künstlerischen geworden.

Seit dem letzten Jahr ist Thomas Weski „wissenschaftlicher Assistent für Fotografie“ am Sprengel- Museum in Hannover, und dort wird das Projekt im Sommer unter dem Titel „Siemens Fotoprojekt 1987–1992, Ausgewählte Beiträge“ vorgestellt. Zunächst aber sieht man eine Auswahl von zehn Arbeiten unter dem Titel „Industriefotografie heute“ im Keller der Bayrischen Staatsgemäldesammlungen in München: am Unterschied im Titel läßt sich die Münchner Hochstapelei deutlich ablesen.

Eine Firma

Was fast allen Fotograf(inn)en (zehn in München, achtzehn im Katalog) gemeinsam ist, ist die Mischung aus Abscheu und Neugier, mit der sie sich dem Konzern, als etwas Sichtbarem und Unsichtbarem, genähert haben. Die auf den ersten Blick einfachste Arbeit ist die schlagendste: eine Wand mit weißem Zeichenkarton, auf den Hunderte von schwarzweißen Fotos ohne Rahmung und Passepartourierung geklebt sind. Sie zeigen Leute in Büros, Werkstätten und Küchen: namenlose Werktätige, die sich mit der Geduld des Genötigten dem Portraitierenden zuwenden. Außerdem eine Sammlung der Grünpflanzen, der Bürostühle und der Flure. Es sieht aus, als sei der Stammfotograf einer kleinstädtischen Werbezeitung in einem Betrieb von überschaubarer Größe unterwegs gewesen, etwas zu beschäftigt mit Scharfstellen (nicht immer erfolgreich), um das, was ihn umgibt, wirklich wahrzunehmen.

Diese Arbeit stammt von Hans- Peter Feldmann, einem 1941 geborenen Künstler zwischen Konzeptkunst und Pop Art, dessen Zugriff auf populäre Fotografie um 1970 die Kunstszene beeindruckt hatte und der nach einer langen Phase des Abtauchens vor ein paar Jahren vom Wolkenkratzer wiederentdeckt wurde. Feldmann gesteht die Schäbigkeit seines Interesses ein und führt sie exemplarisch vor; die Arbeit wurde im vorletzten Jahr unter dem Titel „Eine Firma“ von Siemens vorab publiziert und brachte dem Künstler komplizierte Debatten mit den Angestellten (in Hannover) ein, weil sie die Kunst in der Kunst nicht erkennen konnten. Kein Wunder, denn ganz im Sinne reifer Konzeptkunst blieb sie unsichtbar.

Die meisten Künstler(innen) haben versucht, ihre Mischung aus Neugier und Abscheu zu einer formalen Präzision zu verdichten, die dem Gegenstand, dem Konzern, zumindest in einem winzigen Aspekt gerecht wird. Michael Schmidts Portraits junger Frauen sind die exakte Antwort auf Feldmann (auch wenn die Reihenfolge der Entstehung andersherum läuft). Schmidts Begegnung mit den Potraitierten, von denen keine in die Kamera blickt, hat etwas rätselhaft Privates, das sich auch bei längerem Hinsehen nicht verliert.

Die bessere der von Siemens geförderten Fotografie lebt davon, daß sie viele andere mögliche Blicke abgeschüttelt hat: das Betriebsfoto, das Ferienbild, das Automatenbild, das Foto als Verlängerung malerischer Stereotypien. Die Fotograf(inn)en scheinen so gleichermaßen nach innen wie nach außen zu sehen, und die visu

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elle Brillanz mancher Bilder hat etwas von der erotischen Attraktion schielender Menschen, bei denen der Silberblick die Präsenz erhöht und gleichzeitig die Person ins Kontemplative entrückt. Thomas Weskis Diptychen waren in diesem Sinne, im Anfang des Projekts, paradigmatisch. Gerade die Berliner Fotografen verlängern diese Linie, Dieter Appelt mit seinen kompliziert belichteten Objekt-Fotografien, die immer den Eindruck machen, als schaue man mindestens ins Grab eines Pharaonen, alles very precious. Gerade jenseits dessen bewegt sich Wilmar Koenig, mit Appelt der letzte der hochdotierten Siemens-Besucher, wenn er die bunten Apparaturen im gleißenden Licht wie Spielzeuge von Außerirdischen vorführt. Man muß Koenig zugute halten, daß er als Architekturfotograf seine Kapitulation vor dem Unverstandenen mitkodiert; während man in den betulichen Schwarzweißfotografien seines Berliner Kollegen Gosbert Adler sehen kann, wie einer seine Ahnungslosigkeit durch massiven Einsatz schwerer Plastikvorhänge verschleiert: ein trauriger Beleg dafür, daß der Flaneur mit dem leicht gesenkten Foto- Auge in Industropolis nichts verloren hat, und folglich auch nichts findet.

Produkt und Arbeit

Keine Frage, daß etliche der Künstler(innen) Siemens als willkommenen Testfall benutzt haben, die Souveränität ihres Stils im Kultur-Beutel des Auftraggebers zu testen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß dort am meisten herausgekommen ist, wo die Fotografierenden sich im Rahmen ihrer künstlerischen Arbeit mit Industrie und industriellen Gebäuden schon einmal befaßt hatten. Die eigentliche Tour de force hat sich Andreas Gursky zugemutet, ein Schüler der Bechers aus Düsseldorf, der sich etliche der Siemenswerke zeigen ließ und – welch bizarrer Beschluß – eben nicht nur bei Siemens fotografierte, sondern (innerhalb des Projekts) auch bei Mercedes oder Steiff. Der Blick in die Werkhalle von Steiff – die unvollständigen „Teddybären“ und „Mungos“ wie Schlachter-Reste in einem Gewirr von Arbeitsplätzen verteilt – ist eines der stärksten Industriefotos, das ich gesehen habe (und es macht Sinn, daß das Bild mit seinen vielen Details so groß ist wie ein Bett). Was Gursky an anderen Orten geschult hat, findet hier überraschend Anwendung: die romantische Aussicht, wie sie im Filigranen zersplittert.

Eine weit extremere Provokation gegenüber dem Programm landete Verena von Gagern, die in ihre Polaroids von elektronischen Schaltungen Hopi-Zeichen ritzte, die angeblich den „entfremdeten“ Weg der Industriegesellschaft symbolhaft kritisieren. Die Ergebnisse sind allerdings in bezug auf vergangene Arbeiten mit manipulierten Polaroids nichts Neues. Überraschend ist, daß die (einzige) andere Fotografin des Projekts, Petra Wunderlich, gleich im ersten Jahr (1987) eine Arbeit abliefert, die nichts, aber auch gar nichts von „Abscheu“ und „Neugier“ spüren läßt: Sie fotografiert bei Siemens in Augsburg, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. In den Arbeiten mischt sich Kälte mit Banalität; man kann alles sehen, aber wenig erkennen.

Nun liegen die Arbeiten als zweisprachiges Katalogbuch beim Architektur-Verlag Ernst & Sohn vor, von Nicolaus Ott und Bernard Stein mit routinierter Heiterkeit in eine strenge Ordnung gebracht. Schade, daß die Textarbeit nicht weiter gediehen ist als dies: Die Begleittexte zu den einzelnen Arbeiten sind aus den vorab publizierten Einzelheften übernommene Zitate durchweg wenig erhellender Gefälligkeitsschreiben. Der längste Essay befaßt sich mit monumentalen Foto-Projekten für und von Fotografen, von der französischen Mission Héliographique Mitte letzten Jahrhunderts bis zu Hiromi Tsuchidas „Hiroshima“-Projekt (1975–1982). Was nur am Rande erörtert wird, ist Industriefotografie. So hat Lee Friedlander, der natürlich für etliche Fotografen dieses Projekts ein wichtiger Referenzpunkt ist, nicht nur die „Factory Valleys“ fotografiert, sondern danach ein ganzes Buch im Auftrag einer Firma erstellt. Wichtiger als die dokumentarischen Arbeiten der FSA-Fotografen im amerikanischen Süden der dreißiger Jahre wären Peter Keetmans brillante, auf eigene Faust gemachte Bilder aus dem Volkswagenwerk von 1953 gewesen. Und eine Arbeit wie Timm Rauterts umfassende Ausstellung zu unsichtbarer Arbeit im Ruhrlandmuseum – im letzten Jahr – zu übergehen grenzt an Ignoranz. Man fragt sich, warum niemand die künstlerischen Arbeiten mit der Werksfotografie von Siemens verglichen hat. Völlig im dunkeln gelassen wird der Leser über ganz offensichtliche Zusammenhänge: die Ablösung von einer dogmatischen dokumentarischen Fotografie in der Berliner „Werkstatt für Photographie“ unter dem Einfluß der zeitgenössischen Amerikaner; Herkunft und Schule der Fotografen Bernd und Hilla Becher; oder die eigenartige Verquickung einer späten „subjektiven Fotografie“ mit amerikanischen und holländischen Einflüssen im Umfeld der Folkwangschule Essen. Die Kuratoren mögen klagen, daß Fotografie „als Medium“, wie es immer so schön heißt, im Museumsbetrieb nur unter erheblichem Widerstand zu verankern ist: eine höhere Plausibilität in Geschichtsschreibung und Theorie würde der Sache vielleicht nutzen.

In der Münchner Neuen Pinakothek, wo man in den Prachträumen mit viktorianischer Kunst repräsentiert, war für das ehrgeizige Siemens-Projekt nur noch im Keller Platz, wo die großen Formate auf beigen Stofftapeten zwischen Decke und Boden geklemmt werden. Aber wie der Oberkonservator der modernen Abteilung, Ulrich Bischoff, bekanntgab, droht jetzt Abhilfe: In separaten Ankäufen bei symmetrischem Einsatz von Mitteln wollen die Staatlichen Gemäldesammlungen und Siemens bis zum Ende des Jahrzehnts die zeitgenössischen Tendenzen in der (internationalen) künstlerischen Fotografie in maßgeblichen Beispielen versammelt haben. Wenn es vorher keinen Zank gibt, werden die Sammlungen in ein paar Jahren im dann fertiggestellten Neubau zusammengeführt. Kurios, daß nun Thomas Weski im Auftrag von Siemens die fotografische Elite für München sammelt, während er inzwischen Museumsmann in Hannover geworden ist.

Etwas beunruhigend ist das Pathos, mit dem der Masterplan zur Sammlung aktueller Fotografie verkündet wird. Es klingt immer noch ein bißchen so, als glaubten die Verteidiger der angeblich stiefväterlich vernachlässigten Technik, daß mit der Entdeckung fotografischer Bilder ein Fortschrittsprogramm begonnen habe. Aber wie sagte schon Daguerre: „La photographie n'existe pas.“

Siemens Fotoprojekt in Museen: „Industriefotografie heute“. Staatsgalerie moderner Kunst in der Neuen Pinakothek München, bis zum 26.6.1993. – „Siemens Fotoprojekt 1987–1992, Ausgewählte Beiträge“. Sprengel-Museum Hannover, 14.7–12.9. – Katalog: „Siemens Fotoprojekt 1987–1992“, hrsg. von Thomas Weski, Verlag Ernst & Sohn, 312 Seiten, 38 DM, im Buchhandel 78 DM

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