Die Intervention und die BosnierInnen

■ Aufhebung des Waffenembargos oder Militärintervention? / Kontroverse Meinungen vor der Clinton-Entscheidung in Zentralbosnien und der West-Herzegowina / Eine nicht-repräsentative Umfrage

Tuzla (taz) – „Meinst du, sie könnten wirklich kommen?“ Die junge Frau ist ganz aus dem Häuschen. Auch ihre Freundinnen warten in dem kleinen Café in Tuzla gespannt auf die Antwort. „Unsere Hoffnungen wurden oft enttäuscht. Als nicht einmal in Srebrenica eingegriffen wurde, dachten wir alle, die Welt wolle uns Muslime von den Tschetniks ermorden lassen. Dann würden wir lieber Selbstmord begehen, du weißt schon, mit dem Chlorin.“

Ein junger Mann mischte sich ein. „Wir werden und wollen uns nicht selber töten. Wir brauchen auch keine Schutzzonen der Vereinten Nationen, wo wir in unserem eigenen Land wie die Tiere im Zoo überleben müßten. Und die Nato soll auch nicht selbst mit Bodentruppen kommen. Alles, was wir brauchen, sind Waffen. Wenn die jetzt geliefert würden, das wäre die Wende im Krieg, dann würden wir die Tschetniks schon zurückdrängen, Kämpfer haben wir genug.“ Noch vor einer Woche äußerten sich die beiden Kommandanten der 17. Brigade der bosnischen Armee, der „Mudschaheddin Brigade“, Fikret Ćuškić und Mehmed Alagić, im zentralbosnischen Travnik skeptisch über die amerikanische Politik. Mit Rußland, China, Frankreich und Großbritannien votierte damals im Weltsicherheitsrat ein starker Block gegen die Aufhebung des Embargos gegen Bosnien.

Jetzt aber, da Jelzin das Referendum gewonnen habe, bestehe vielleicht doch die Chance auf eine andere Haltung der UNO. „Wir kämpfen für die Wiederherstellung des bosnischen Staates“, erklärten die beiden Offiziere, „die Welt braucht keine Angst zu haben, daß wir es den Serben mit gleicher Münze zurückzahlen.“ Die meisten Kämpfer der Brigade seien ehemalige Gefangene der Konzentrationslager um Prijedor und Brčko. Die Soldaten seien zwar für einen Kampf motiviert, jedoch „keine Verbrecher“. Jeder Soldat seiner Einheit habe einen Ehrenkodex unterschrieben, zu dem gehört, niemals gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen. Der britische Kommandant der Unprofor-Truppen in Vitez stimmt den bosnischen Offizieren zu: „Die bosnische Armee und insbesondere die 17. Brigade sind im Gegensatz zu anderen bewaffneten Truppen im Lande sehr diszipliniert.“ Auch Zldako Lagumdžia, Vizeministerpräsident Bosniens, wies schon vor Wochen darauf hin, daß bei einem Vorrücken bosnischer Truppen mit „ethnischen Säuberungen“ nicht zu rechnen sei. „Wir wollen ein Bosnien der drei Nationen, die immer noch in unserer Armee vertreten sind. Die bosnischen Serben haben weiter ihren Platz im Lande. Aber diejenigen, die zu Schuldigen an Verbrechen geworden sind, müssen bestraft werden.“ Es bleibe weiter eine Ungeheuerlichkeit, daß einem von den Vereinten Nationen anerkannten Staat wie Bosnien- Herzegowina das im Artikel 51 der UNO-Charta verbriefte Recht auf Verteidigung versagt werde.

Verteidigungswaffen, panzerbrechende Waffen, Transporter, Flugabwehrwaffen, Panzer und Artillerie forderte am letzten Donnerstag der Kommandeur der 107. Brigade in Gradačac, Saddam Imamović. „Dann könnten wir die Verbindung zu Kroatien hin erzwingen und damit die serbisch besetzten Gebiete Nordbosniens einschließen.“ Zusammen mit der Öffnung eines Korridors nach Sarajevo wäre dies für die militärische Lage entscheidend, die Zahl der Opfer könnte gering gehalten werden. Skeptisch betrachtet dagegen die kroatische Führung der Westherzegowina die Frage der Intervention. Jadranko Prlić, der „Verteidigungsminister“ der selbsternannten „Republik Herceg-Bosna“, mochte sich Anfang letzter Woche zwar nicht offen gegen die Intervention stellen, sah aber in Waffenlieferungen an die bosnische Armee „keine Lösung des Problems“. Die UNO müßte bestimmen, was getan werde, ein UNO-Protektorat Bosnien-Herzegowina wäre die beste Lösung. Deutlicher wurde einer seiner Untergebenen. „Wir können nicht hinnehmen, daß die bosnische Armee bewaffnet wird. Wenn die auch noch Artillerie haben, würden sich die Kämpfe zwischen Kroaten und Muslimanen in Zentralbosnien nur ausweiten.“ Unerwähnt blieb, daß die „Kroatische Kampf-Organisation“ (HVO) in Zentralbosnien gegen mehrheitlich von Muslimanen bewohnte Städte und Dörfer mit Artillerie vorgeht. Ein Kroate aus Vitez, der in einer Art Bürgerwehr das Eigentum seiner von der HVO ausgetriebenen moslemischen Nachbarn schützen will, möchte dagegen vor allem eines: Ruhe zwischen Moslems und Katholiken. „Wir werden hier weiter friedlich zusammenleben, wenn der Krieg zu Ende ist. Zuerst jedoch müssen die serbischen Extremisten geschlagen werden, und das kann nur mit Hilfe von außen gelingen.“ „Und die kroatischen Extremisten“, fügt ein moslemischer Nachbar hinzu. „Die UNO und die Amerikaner müssen auch die Kroaten in die Schranken weisen!“ Erich Rathfelder