Heut wolln wir Spaß

■ Beim DGB am 1. Mai in Magdeburg

Magdeburg (taz) – „Heraus zum 1. Mai“, rief der DGB auch dieses Jahr. Zehntausende folgten ihm in Magdeburg. Allerdings nicht bis zum Kundgebungsplatz, wo der IG-Metall-Chef Franz Steinkühler den unmittelbar bevorstehenden Arbeitskampf beschwor. Bis hierher schafften es nur knapp 2.000 Menschen. Zehntausende von Magdeburgern vergnügten sich derweil beim bunten Volks- und Familienfest, das rund um den Kundgebungsplatz auf der Elbinsel Rotehorn stattfand. Und nicht einmal von flehenden Lautsprecherdurchsagen ließen sie sich bewegen, die Befriedigung ihrer Vergnügungssucht zugunsten der DGB-Maikundgebung für einige Minuten zu unterbrechen.

Während Steinkühler im Betonrondell beklagte, daß es kaum möglich sei, bei kaum 50 Prozent der Westeinkommen die auch im Osten gültigen 100-Prozent-Preise zu bezahlen, bewiesen ringsum die Magdeburger, daß eben das doch geht. Die mühsam verdiente Westmark saß locker, Schausteller und fliegende Händler rieben sich die Hände. Zwei Tage vor dem Beginn des Streiks in der ostdeutschen Metallindustrie und neun Tage vor Beginn der Urabstimmung auch in Sachsen-Anhalt wollten die Metaller und auch ihre Kollegen anderer Gewerkschaften halt noch mal so richtig einen draufmachen.

Bier und Mineralwasser flossen in Strömen, selbst der Zuckerwatteumsatz wurde in Kilogramm berechnet. „Das muß der Steinkühler verstehen“, meinte ein Metaller, der sich die Rede seines Gewerkschaftschefs ebenfalls schenkte. „Wir waren bei den Demonstrationen dabei, bei den Warnstreiks, und wenn hier der richtige Arbeitskampf losgeht, dann werden wir auch vor den Toren stehen – aber heute wollen wir unseren Spaß haben.“ Notfalls auch zu Preisen, die zu 100 Prozent dem Westniveau entsprechen.

Während Steinkühler die Treuhand-Politik ebenso geißelte wie den „Laiendarsteller, der gegenwärtig die Rolle des Bundeswirtschaftsministers probt“, war bei den Magdeburgern Wochenende angesagt. In dichten Trauben umlagerten sie die diversen Bühnen, auf denen sich die diversen Hörfunksender Sachsen-Anhalts mit gesponserten Darstellungen und Gewinnspielchen mal wieder Aug' in Aug' dem Hörer präsentierten.

Und während auf dem Volksfest Geldschein um Geldschein den Besitzer wechselte, lauschten nur die Eisenharten und Unentwegten, wie der IG Metall-Chef über die Geschäftemacher der Einheit herzog. Es gehörte schon einiges an gewerkschaftlichem Enthusiasmus dazu, sich im kargen Betonrondell eine ganze Steinkühler-Rede lang die pralle Sonne auf den Schäden scheinen zu lassen. Das merkten wohl auch einige Skinheads, die zaghaft und fast ein wenig kleinlaut versuchten, das Grußwort einer brasilianischen Metallarbeiter-Delegation mit rechtsradikalen Sprechchören zu stören. Aus Angst vor Sonnenbrand in der Kahlschlagfrisur zogen sie sich bald in den Schatten einer der vielen Bierbuden zurück.

Nicht einmal die zahlreich zur Steinkühler-Rede erschienene Journaille hörte ihm länger zu als irgendwie nötig. Sobald als möglich stürzten sie sich nach dem Beispiel der Magdeburger vorzugsweise an die Bierstände innerhalb des Volksfestgetümmels. Schließlich sind auch Journalisten nur Menschen wie du und ich mit einem ausgeprägten Vergnügungsbedürfnis. Eberhard Löblich