: "Benommen, wie Wolf unter Wölfen"
■ Hamburgs SPD-Chef Helmuth Frahm über Gründe und Folgen des Engholm-Rücktritts, die mangelnde Team-Fähigkeit der SPD-Spitzen und mögliche Kanzlerkandidaten / "Man kann nicht so tun, als ob führende...
über Gründe und Folgen des Engholm- Rücktritts, die mangelnde Team-Fähigkeit der SPD-Spitzen und mögliche Kanzlerkandidaten / »Man kann nicht so tun, als ob führende Leute auf Bäumen wachsen«
taz : Die SPD steht vor einem Scherbenhaufen. Wer soll fegen?
Frahm: Scherben sind zweifellos vorhanden. Aber die SPD ist keine zentralistische, auf eine Person ausgerichtete Partei. Allerdings: Wenn der nächste Kanzlerkandidat mit denselben Konstruktionsfehlern ins Rennen geschickt wird wie Engholm, mit einem Bonner Team, das gar nicht teamfähig war, dann wird es sehr schwierig. Wenn aber jetzt ein echtes Team entsteht, das an einem Strang zieht, dann kann es noch gelingen, diese verrottete Regierung abzulösen...
... mit einem Bundeskanzler Gerhard Schröder...
Abwarten und Tee trinken...
Renate Schmidt, Rudolf Scharping...
...abwarten und Tee trinken.
Verstehen Sie eigentlich, warum Björn Engholm nicht frühzeitig über das Gespräch mit seinem Anwalt Peter Schulz berichtet hat?
Verstehen kann ich das, verständlich finde ich es nicht. Eins muß aber klar sein: Björn Engholm ist zurückgetreten wegen eines politischen Fehlers, der in keinem Verhältnis steht zu dem, was vor fünf Jahren beim Barschel-Skandal los gewesen ist. Daß Engholm die Dinge nicht mehr so klar erinnert hat und nicht alles gesagt hat, das finde ich sehr bedauerlich. Da hätte man ihn früher beraten müssen, Engholm hat einfach zu wenig gute Berater gehabt.
Auch im Umgang mit den Medien?
Ich bin der Letzte, der jetzt zur Medienschelte ausholen will. Aber ganz schrecklich finde ich, daß die Journalisten die Privatsphäre nicht in Ruhe lassen.
Mit Engholm verliert Hamburgs Senatschef Voscherau einen politischen Freund. Gerhard Schröders Verhältnis zu Hamburger Regierung ist nicht ganz so herzlich....
Die norddeutschen Länder haben natürlich jeweils eigene Interessen. Aber Voscherau und ich sind hochlernfähige Systeme, das will ich auch von Schröder hoffen.
Sie haben das Bonner Team kritisiert, das Engholm nicht ausreichend unterstützt hat. Heißt das, daß es weitere Rücktritte geben sollte, zum Beispiel den von Hans Ulrich Klose?
Nein. Klose hat Fähigkeiten, die andere nicht haben. Er kann die Bundestagsfraktion führen, und ich werde ihm raten, dabeizubleiben. Ob er's tut, kann ich nicht beurteilen. Ich möchte jedenfalls nicht, daß von unseren guten Leuten einer nach dem anderen gehen muß. Man kann nicht so tun, als ob führende Leute auf Bäumen wachsen...
So viele sind es ja jetzt schon nicht mehr...
...mindestens zehn bis zwölf. Die müssen jetzt an einem Strang ziehen. Wenn sich diese Spitzenleute allerdings weiter so benehmen wie ein Wolf unter Wölfen... dann mal gute Nacht.
Engholm stand ja nicht von ungefähr auch politisch im Kreuzfeuer der eigenen Partei. Ist er daran gescheitert?
In der Jahrzehntfrage der Asylentscheidung ist es nun mal so gewesen, daß es die SPD zerrissen hat. Da hätte ich mir manches anders gewünscht. Aber ich muß auch sagen, daß die Kritiker des Petersberger Beschlusses ebenfalls keine Antworten geliefert haben, die für die Menschen verständlich waren.
Auch Sie selbst haben Engholm kritisiert, in Sachen Asyl, aber auch beim Stichwort Zweiter Arbeitsmarkt.
Beim Zweiten Arbeitsmarkt hat Engholm sicher schon nicht mehr die Kraft gehabt, sich diesem Thema ganz gründlich zu widmen.
Ist der Tiefpunkt für die deutsche Sozialdemokratie jetzt erreicht? Es dürfte
1wohl ziemlich schwierig werden bei den nächsten Wahlen.
Schwierig wird es auf jeden Fall, aber wir sind als Führung nicht gewählt, damit wir herumlamentieren, sondern damit wir etwas machen. Und das werden wir tun. Es soll sich niemand verrechnen in der Kampagnefähigkeit der SPD.
Konkret, was werden Sie, was wird die Hamburger SPD tun, um den Vertrauensverlust in Grenzen zu halten?
Wir werden Mitglieder werben, wir werden viel mit den Menschen reden, und vor allem werden wir versuchen, hier in Hamburg die bestmögliche Politik zu machen. Das Fell werden wir uns jedenfalls nicht über die Ohren ziehen lassen.
Interview: Uli Exner
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