: Am eigenen Leib
■ Tagung über Neue Musik und Wahrnehmung
„Am eigenen Leib — für eine andere Wahrnehmung“ hieß das Thema der Tagung, zu der die Bremer „projektgruppe neue musik“ am letzten Wochenende in die Galerie Rabus eingeladen hatte. Schon im Tagungstitel war eine enorme Spannbreite angelegt: was heißt denn „Leib“, und was „andere Wahrnehmung“? Welche Konsequenzen hat das für die Musik?
Die Veranstalter hatten als Grundlage der Diskussion ein interessantes Konzertprogramm organisiert, das verschiedenste Blickwinkel auf diese Fragestellungen ermöglichte. Dargeboten wurde es vom hervorragenden Freiburger ensemble recherche, verstärkt durch weitere hochkarätige KollegInnen. (Es ist unmöglich, dieses Programm hier auch nur annähernd zu besprechen, zum Trost: Radio Bremen hat zwei Konzerte mitgeschnitten.)
Diskutiert wurde die gebotene Musik von einer idealen Podiumsbesetzung. entsprach: aus der philosphischen Richtung kamen Gernot Böhme und Eveline Goodman-Thau (jüdische Philosophie). Musikwissenschaftlich-analytisch argumentierten Jürg Stenzl und Max Nyffeler. Schließlich waren auch die MacherInnen da: die KomponistInnen Helmut Lachenmann und Younghi Pagh-Paan sowie am Ende der Tagung auch InterpretInnen der Musikstücke. Nicht zuletzt das hellwache Publikum ließ die Diskussion jederzeit lebendig bleiben.
Gernot Böhme konstatierte unsere Entfremdung von Natur und Körperlichkeit: gerade die Neue Musik könne Wege zum Wiederfinden des umfassend verstandenen Leibes weisen. Wenn sie dies aber leisten soll, dann muß sie einer großen Verantwortung gerecht werden: sie darf nicht mit „billiger Magie“ (Lachenmann) einlullen, sondern muß in jedem Moment wachhalten. Neue Musik ist mehr als eine noch nie gewesene Anhäufung von Tönen, sondern eine Kunst, die die Kreativität der ZuhörerInnen gleichermaßen braucht wie fördert.
Was hier wie ein auf der Tagung formuliertes Ergebnis klingt, soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß auf dem Podium mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet wurden — und das ist ja auch gut so: wir sind gespannt auf die nächste Tagung. Wilfried Wiemer
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