Realpolitik statt Verlierer-Politik für die PDS?

■ Die ehemalige PDS-Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch befürchtet, daß aus ihrer Partei eine „Sekte der Ausgegrenzten“ wird / Kritik an der alternativen Idylle

Berlin. Der Landesparteitag der PDS konnte sich am Wochenende nicht auf eine einheitliche Linie in der Berlin-Politik verständigen. Das Plenum stimmte für drei Anträge verschiedener Fraktionen, obwohl sich diese zum Teil erheblich unterschieden. An dieser aktuellen Auseinandersetzung wurde ein tieferliegender Konflikt um die programmatische Orientierung der Partei ausgetragen. Die taz sprach mit einer der Exponentinnen der Auseinandersetzung, der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Gesine Lötzsch.

taz: Frau Lötzsch, weiß die PDS nicht mehr, wo es mit ihr langgeht?

Lötzsch: Die PDS war am Wochenende nicht in der Lage, eine Grundsatzentscheidung zu treffen, es wurden sich bereits im Ansatz unterscheidende Anträge vom Parteitag angenommen. Die Unterschiede bestehen in den Fragen, wie wir Politik machen wollen, wie wir eingreifen wollen, ob wir nur Nein sagen und Widerstand leisten oder gleichzeitig eine positive Perspektive geben wollen.

Wenn man Ihren Worten auf dem Parteitag folgt, ist diese Frage beantwortet, dann befindet sich die PDS bereits auf dem Weg zur „Sekte der Ausgegrenzten“.

Ich habe davor gewarnt, sich auf diesen Weg hin bewegen zu wollen. Ich halte das für gefährlich. Die PDS sollte nicht den Fehler machen, nur die Verliererinnen und Verlierer ansprechen zu wollen. Es ist nicht zumutbar, jemanden auf Dauer als Verlierer festschreiben zu wollen, zumal die Mehrzahl der Bevölkerung ihre eigene Situation nicht nur negativ beschreibt. Es bringt niemandem etwas, düstere Szenarien zu malen, ohne Vorschläge zu benennen, was man verändern kann. Man bringt die Regierenden viel stärker in einen Zwang zur Auseinandersetzung, wenn man ihnen konkrete Alternativen entgegensetzt.

Daß die PDS sich nicht entscheiden kann, oder auch nicht will, liegt vielleicht daran, daß sie an einem Scheidepunkt steht.

Das kann man nur aus einem historischen Abstand feststellen. Ich merke aber mittlerweile einen starken Wunsch nach Geschlossenheit. Ich bedauere das, denn in der Wende 1989 war der Meinungsstreit gerade das, was diese Partei am meisten gefordert hat. Diese Angst vor dem Streit sollte die Partei unbedingt wieder verlieren.

Gehört die Streitkultur zu den sozialdemokratischen Traditionen, denen sie in der Partei zu ihrem Recht verhelfen wollen?

Die sozialdemokratischen Traditionen habe ich deshalb angeführt, weil vieles aus der Wendezeit droht, in Vergessenheit zu geraten, was wir uns damals vorgenommen haben. Damals wurde sehr selbstkritsch reflektiert, daß die Vereinigung von KPD und SPD nicht ganz freiwillig erfolgte. Wir dürfen auch nicht in den Fehler der KPD vor 1933 verfallen, sich einzuspinnen und gegenüber der SPD zu stark abzugrenzen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die PDS eine neue Orientierung für enttäuschte linke Wähler der SPD ist, solange sie sich den Status des Ausgegrenzten gibt und eine alternative Idylle anstrebt.

Sind Sie eine linke Sozialdemokratin in der PDS?

Ich würde mich nicht so definieren. Ich strebe eine Realpolitik an, weil man damit die Regierenden viel mehr herausfordern kann, als wenn man deklarativ handelt. Interview: Dieter Rulff