El Salvadors Revolutionäre passen sich an

In der ehemaligen Guerillafront FMLN wandeln sich die einen zu Apologeten des Kapitalismus, während die anderen am Kommunismus festhalten / Suche nach einem Präsidentschaftskandidaten für ein linkes Bündnis  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Der Friede hat seine Tücken. Seit die Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) die Waffen niedergelegt hat, um aus den Bergen in die Städte und Dörfer zu kommen, seit die Comandantes aus Sicherheitshäusern in Parteilokale umgezogen sind und die Uniformen gegen Schlips und Sakko eingetauscht haben, ist das Leben komplizierter geworden für die Revolutionäre.

Halt! Revolutionäre? Schon dieses früher von den Guerilleros selbstverständlich beanspruchte Etikett paßt nicht mehr allen. Während vor ein paar Jahren noch die unmittelbar bevorstehende Verschmelzung der fünf Guerillaorganisationen in eine leninistische Einheitspartei angekündigt wurde, ist von Einheit heute keine Rede mehr. Und manche der Organisationen glauben ihre politischen Bezugspunkte eher außerhalb des immer brüchiger werdenden Bündnisses zu finden als innerhalb. Vorreiter der neuen Linie ist ausgerechnet Joaquin Villalobos, jener Guerillakommandant, der jahrelang als der radikalste innerhalb der fünfköpfigen FMLN-Generalkommandantur galt. Letzten Oktober stellte er in einem schmalen Bändchen mit dem Titel „Revolution in der Linken für eine demo kratische Revolution“ das Ergebnis seiner Überlegungen zur neuen Lage der Nation vor. Nach der überraschenden Erkenntnis, daß der Staatssozialismus sowjetischer Prägung weder demokratisch noch revolutionär war, entdeckt der ehemalige Guerillaführer die „Werte, die irrtümlich von den Revolutionären vernachlässigt worden waren: Familie, Eigentum, Nation, Religion, individuelle Freiheit, Naturschutz, Demokratie ...“.

Der erfolgreiche Stratege macht sich damit die traditionellen Werte der Oligarchie und Unternehmerschaft zu eigen. Produktion heißt die Devise: der Kapitalismus sei zu Unrecht verketzert worden. Was Villalobos an unternehmerischer Erfahrung fehlt, das will er durch Arbeitsweisen wettmachen, die er am besten beherrscht: die militärische Disziplin, der FMLN- Mitstreiter jahrelang unterworfen waren, soll jetzt in wirtschaftliche Effizienz umgemünzt werden. Daß das Buch innerhalb der FMLN keine helle Empörung ausgelöst hat, ist damit zu erklären, daß die einen mit den Thesen einverstanden sind, und die anderen Villalobos sowieso nicht mehr ernst nehmen. Vor kurzem setzte er sich zwischen alle Stühle, als er sich in einen Konflikt zwischen den Genossenschaftern von El Espino, der größten Waldreserve der Metropolitanzone, und der Oligarchenfamilie Poma, die dort eine Wohnsiedlung errichten wollte, einschaltete. Nicht nur, daß er gleich zu Beginn die Abtretung eines Teils des Gebietes anbot und sich die Ökologen des Landes zu Feinden machte, sondern er wurde auch noch durch den Clanchef der Pomas brüskiert, der öffentlich verkündete, er kenne Herrn Villalobos nicht und bedürfe auch keineswegs seiner Vermittlung. Damit nicht genug, kam der Chef des „Revolutionären Volksheeres“ (ERP) auch noch in den Verdacht, sich an ausländischen Spendengeldern bereichern zu wollen. Denn im Zuge der Privatisierung des bisherigen Kollektiveigentums sollte das traditionsreiche Radio Venceremos, einst offizieller Untergrundsender der FMLN, an eine Handvoll Comandantes überschrieben werden, allen voran Villalobos selbst. Und das just zu einem Moment, da die deutsche Buntstift-Stiftung den FMLN-Radios 1,6 Millionen DM als Starthilfe für die Modernisierung in Aussicht stellte. Der Comandante verzichtete nach Protesten auf die Beteiligung. In der FMLN kämpfen heute zwei Tendenzen um die Vorherrschaft: die Fraktion, die sich selbst sozialdemokratisch nennt und ein Bündnis mit Christ demokraten und Unternehmern anstrebt; und die andere, die das Fernziel des Sozialismus nicht aufgegeben hat und für die Stärkung eines Linksblocks plädiert. Der ersteren gehören das ERP und der 1975 nach der Ermordung des Dichters Roque Dalton von diesem abgespaltene „Nationale Widerstand“ (RN) unter Ferman Cienfuegos an. In der letzteren haben die Kommunistische Partei und die 1972 aus dieser hervorgegangenen „Volksbefreiungskräfte“ (FPL) wieder zusammengefunden. Mit dem Argument, der Kapitalismus habe noch nirgends in der Dritten Welt die Probleme der Bevölkerungsmehrheit lösen können, verkündet KP-Chef Shafik Handal stolz: „Wir sind heute kommunistischer als je zuvor“. Auch die kleinste und jüngste Organisation, die PRTC, tendiert mehrheitlich zu dieser Gruppe. Daß die FMLN nur noch eine Fiktion ist, die aus taktischen Gründen bis zu den Wahlen im März 1994 am Leben gehalten werden muß, ist allen klar. Doch mit welchen Kandidaten und Bündnissen man zu diesen Schicksalswahlen antreten will, ist so umstritten wie die politische Linie selbst. Ambitionen auf politische Ämter muß sich Villalobos vorerst verkneifen. Denn die „Wahrheitskommission“, die die Kriegsverbrechen der vergangenen Dekade untersucht hat, fand die ERP-Führung für schuldig, die Ermordung von neun Bürgermeistern angeordnet zu haben. Die Kommission empfiehlt daher ausdrücklich, Villalobos, Ana Guadalupe Martinez und vier weitere Mitglieder des ERP- Politkomitees von öffentlichen Ämtern auszuschließen. „Wir verstehen nicht, warum gerade wir für etwas bestraft werden, was damals als generelle Linie der FMLN galt“, klagt Juan Ramon Medrano, alias „Comandante Baltasar“. Die anderen Organisationen hätten insgesamt auch 15 kollaborationsunwillige Bürgermeister aus den Kriegszonen auf dem Gewissen. Rechte Kommentatoren pflichten manchen ERP-Vertretern bei, wenn diese hinter der einseitigen Verurteilung eine politische Absicht vermuten, nämlich das Kaltstellen gerade jener FMLN-Comandantes, die die Anpassung am besten vorexerzieren. Von der Basis und ihren traditionellen Verbündeten wird der FMLN heute eher ihr Verhalten nach dem Bürgerkrieg vorgeworfen. So brachte Ruben Zamora, stellvertretender Parlamentspräsident und seriösester Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur für ein Linksbündnis, im Dezember geheime Verhandlungen zwischen FMLN und Regierung an die Öf fentlichkeit, die die Aufschiebung der Säuberung der Streitkräfte zum Gegenstand hatten. Während von der Katholischen Kirche bis zum UNO-Generalsekretär Butros Ghali alle die im Friedensabkommen vorgesehene Absetzung der in Menschenrechtsverbrechen verwickelten hohen Militärs zu Silvester 1992 forderten, stimmten die Comandantes Präsident Cristianis Plan zu, die Generäle aus Gründen der inneren Stabilität bis Jahresmitte oder gar bis zum Regierungswechsel im Juni 1994 in ihren Ämtern zu belassen. Aus derselben Sorge über mögliche Reaktionen der ehemaligen Kriegsgegner wollen die Leute der ERP schon vor den Wahlen eine möglichst zahme Koalition zusammenstellen und würden es sogar in Kauf nehmen, als Juniorpartner der ehemals verhaßten Christdemokraten anzutreten. „Die Unternehmer“, erzählt Comandante Baltasar, „haben angedeutet, daß sie ihr Kapital sofort ins Ausland schaffen, wenn Ruben Zamora die Wahlen gewinnt.“ Deswegen will die ERP den profilierten Politiker der „Christlichsozialen Volksbewegung“ (MPSC), einen alten Verbündeten der FMLN, gar nicht erst aufstellen. Darüber soll jetzt in einem mehrwöchigen Konsultationsprozeß die Basis der FMLN entscheiden.