Dreißig neue Atommeiler in Rußland

■ Regierung will jetzt Verdoppelung der Reaktoren bis 2010

Kopenhagen (taz) – Nach Informationen der Kopenhagener Tageszeitung Berlingske Tidende hat die russische Regierung Ende letzter Woche einen Plan zum umfassenden Ausbau der Atomkraft verabschiedet. Sechs neue Atomkraftwerke mit zusammen 30 Atomreaktoren sollen danach bis zum Jahre 2010 die Zahl der jetzt 28 Reaktoren mehr als verdoppeln. Etwa die Hälfte der neuen Reaktoren sollen im westlichen Teil Rußlands entstehen, bei Tver, nordwestlich von Moskau, Smolensk, St. Petersburg und in Karelien. Andere im südlichen – so Rostov am Don – und östlichen Teil des Landes, unter anderem bei Tomsk und im Gebiet von Tscheljabinsk, wo sich bereits jetzt Ballungen atomarer Anlagen befinden. Der erste neue Reaktor soll schon am 10. Mai im Atomkraftwerk Balakovka im Gebiet Saratov (Wolga) angefahren werden.

Unter den neuen Reaktoren sollen zahlreiche vom Tschernobyl-Typ sein: „Ein weiteres Bespiel“, so Dmitrij Tolmatskij von Greenpeace, „wie die russische Regierung die öffentliche Meinung sowie die ökologischen und ökonomischen Aspekte der Atomkraft ingnoriert.“ Wie der Sprecher des russischen Atomenergieministeriums, Georgij Kaurov, der dänischen Zeitung gegenüber bekräftigt hatte, werden „in einer ersten Etappe bis 1995 die Reaktoren fertiggebaut werden, deren Weiterbau nach Tschernobyl gestoppt worden war“. Auf Kritik ist das Programm der Regierung innerhalb der Administration von Präsident Jelzin gestoßen. Dessen umweltpolitische Ratgeberin Svetlana Revina: „Atomkraft ist nicht unbedingt die Energiequelle, auf die wir in Rußland in der Zukunft setzen sollten.“ Sie gab gleichzeitig bekannt, daß es in den letzten beiden Jahren 382 Unfälle in russischen Atomkraftwerken gegeben habe, davon mindestens zehn „schwere“. Die zivile Administration habe nach wie vor keinen oder nur beschränkten Zugang zu militärischen Atomanlagen und habe deshalb auch keinen Überblick über „Zwischenfälle dort“. In den zivil genutzten Atomkraftwerken habe es im ersten Quartal dieses Jahres 41 Unfälle gegeben, darunter zwei schwere: im Atomkraftwerk auf der Halbinsel Kola und bei Kursk. Reinhard Wolff