Engholm kieloben: Buon Viaggio, Björn!

■ Verschiedenste sozialdemokratische Führungspositionen vakant / Andrang eher bescheiden

Berlin (taz) – Bereits fünfzehn Minuten bevor Engholm selbst verkünden konnte, was alle schon wußten, stahl Helmut Schmidt dem Parteichef noch die letzte Show. Er ließ eine Würdigung – mit Sperrfrist – über die Nachrichtenagenturen verbreiten, nicht ohne anzumerken, daß er selbst aus Altersgründen nicht noch einmal zur Verfügung stehe. Kurz darauf trat Björn Engholm vor die Bundespressekonferenz in Bonn, um den Rücktritt von seinen drei Ämtern zu verkünden: Wegen eines Fehlers, durch den seine politische Glaubwürdigkeit beschädigt sei, gäbe er den Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei auf, stehe als Kanzlerkandidat nicht mehr zur Verfügung und lege – was ihm am schwersten gefallen sein dürfte – sein Amt als Ministerpräsident von Schleswig- Holstein nieder. Engholm will sich ganz aus der Politik zurückziehen. Er räumte

ein, daß er durch seinen Anwalt Peter Schulz „in einem sehr persönlichen Gespräch“ bereits fünf Tage vor der Landtagswahl im September 1987 von den schmutzigen Tricks des Gespanns Uwe Barschel und Reiner Pfeiffer unterrichtet worden war und dies vor dem späteren Untersuchungsausschuß bestritten hatte. Er habe sich in einer „Ausnahmesituation“ befunden. Trotzdem „war es ein Fehler, der mich bedrückt und für den ich das Parlament um Entschuldigung und die Öffentlichkeit um Verständnis bitte“.

Mit dem Rücktritt Engholms hat der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, bis zum nächsten Parteitag den Bundesvorsitz der SPD übernommen. Zu Fragen der Kanzlerkandidatur und der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden wollte Rau sich nicht äußern. Am kommende Wochenende wird das SPD

Präsidium mit den Landes- und Bezirkschefs tagen, am Montag danach der SPD- Vorstand, eine Woche später wird sich der Parteirat mit der schwierigen Lage befassen. Über die Nachfolge Engholms wird der Parteitag entscheiden. Es spreche nicht gegen die SPD, daß dabei mehrere Namen genannt würden. „Wir brauchen dafür Zeit. Es wäre unklug und unangemessen, diese Entscheidung übers Knie zu brechen“, sagte Rau. Ein Sprecher der Parteilinken, Horst Peter, forderte, den Parteitag vorzuziehen und die Entscheidung über die Engholm-Nachfolge nicht dem Präsidium zu überlassen.

Neben den bereits als Kandidaten gehandelten Gerhard Schröder und Rudolf Scharping, beide derzeit als Ministerpräsidenten tätig, wurden gestern noch Renate Schmidt, Landesvorsitzende in Bayern und Heidi Wiezcorek-Zeul, Hessen-Süd,

als mögliche NachfolgerInnen für Engholm genannt. Scharping wollte sich vor der Präsidiumssitzung nicht dazu äußern, ob er zur Verfügung stehe. Alle Beteiligten müßten sich jetzt darauf konzentrieren, „daß die SPD aus diesem Loch herauskommt“. Renate Schmidt kritisierte, es sei noch nicht die Zeit, sich um Kandidaturen zu streiten. Gerhard Schröder, dem in der Partei angekreidet wird, sich bereits vor dem Rücktritt als Nachfolger ins Spiel gebracht zu haben, hüllte sich gestern nachmittag in Schweigen.

In Schleswig-Holstein soll bereits in zwei Wochen ein neuer Ministerpräsident gewählt werden. Wahrscheinlich wird es erstmals in der Geschichte der BRD eine Landesmutter geben. Klare Favoritin ist die Finanzministerin Heidi Simonis. JG

Fotos: L. Helwig; J.H. Darchinger

Montage: taz Seiten 3 und 10