Deutsches Geld für schlesisches Wasser

Während deutsche Sejm-Abgeordnete viele ihrer Forderungen inzwischen als „unrealistisch“ aufgegeben haben, grenzen sich in den Dörfern Deutsche und Polen immer mehr voneinander ab  ■ Aus Lesnica Klaus Bachmann

Von der früheren Euphorie ist in Lesnica nicht mehr viel zu spüren. Seitdem in der 10.000-Einwohner-Gemeinde, die auf deutsch „Leschnitz“ heißt, bei den Kommunalwahlen des Jahres 1990 zum erstenmal eine deutsche Abgeordnetenmehrheit in den Gemeinderat einzog, mußten die neuen Räte ihre hochfliegenden Pläne – Stichwort: Stadtentwicklung und Investitionen – Stück für Stück aufgeben. Der Grund dafür ist ein einfacher: Das Geld fehlt, und nachdem der Staat den Gemeinden nun auch noch die Finanzierung der Grundschulen abtrat, steht Bürgermeister Hubert Kurzal vor einer klaren Alternative: „Wir müssen uns jetzt entscheiden, ob wir die Arbeitslosenhilfe kürzen oder die Schule schließen.“

Von den schlesischen Konflikten um Denkmäler für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs blieb der Ort am Rande der Hügellandschaft des Annabergs dagegen verschont. Auch deutsche Neonazis statteten Leschnitz bisher keinen Besuch ab. Obwohl der Annaberg von deutschen und polnischen Nationalisten für sich vereinnahmt wird, gab es bisher keine unangenehmen Zwischenfälle.

Dennoch sitzt plötzlich auch Hubert Kurzal auf der Anklagebank: Nach den Wahlen gründeten die Gemeinden der Oppelner Woiwodschaft einen Bürgermeisterkonvent und einen Regionalverband. Innerhalb des Konvents existiert seit einiger Zeit auch noch der informelle „Klub der Bürgermeister hiesiger Herkunft“, hier treffen sich die Bürgermeister, die „angestammte Schlesier und nicht von außerhalb zugezogen sind“. Doch inzwischen sind sechs Gemeinden aus dem Regionalverband ausgetreten, drei Grenzgemeinden traten zu der entsprechenden Kattowitzer Organisation, drei andere, darunter Leschnitz, gründeten einen eigenen Regionalverband unter dem Namen „Aqua Silesia“.

„Wir stehen vor der Gefahr, daß die deutsch dominierten Gemeinden der Woiwodschaft versuchen, eine deutsche Enklave in Schlesien zu errichten“, interpretiert dies Czeslaw Tomalik, Vorsitzender des Oppelner Regionalverbands. „Die deutschen Bürgermeister setzen sich immer mehr von ihren polnischen Kollegen ab.“ Seine Befürchtung: Deutsche Finanzhilfen würden über „Aqua Silesia“ nur an Gemeinden mit deutscher Mehrheit verteilt, was wiederum den Neid der polnischen Nachbarn hervorrufen müsse. „Das kann leicht zu einem Anwachsen des polnischen Nationalismus führen“, findet Tomalik.

Doch was für ihn eine Befürchtung ist, ist für andere eine Hoffnung. Vertreter der deutschen Minderheit in Schlesien kritisieren seit langem, daß die aus dem Bonner Innenministerium für sie bestimmten Finanzspritzen mit der Gießkanne verteilt werden und meist nur in Bruchteilen vor Ort ankommen. Von zugesagten 1,7 Millionen Mark für die Wasserversorgung von schlesischen Gemeinden, die keine eigene Kanalisation haben, kamen bei „Aqua Silesia“ bisher gerade 700.000 Mark an. Offiziell äußern will sich dazu keiner der Bürgermeister, sie fürchten, daß sie dann noch weniger erhalten.

Leschnitz hat bisher gerade 50.000 Mark zugestanden bekommen. Hubert Kurzal weist den Gedanken, er wolle eine „deutsche Enklave mit Geld aus dem deutschen Innenministerium“ schaffen, weit von sich: „Wir sind aus dem Regionalverband ausgetreten, weil der zu wenig getan hat“, kritisiert er. „Aqua Silesia“ sei dagegen ein reiner Zweckverband zur Wasserversorgung. Kurzal: „Wir sind auf das deutsche Geld angewiesen, weil wir vom Woiwoden ausgegrenzt werden. Für die Wasserversorgung habe ich bisher keinen einzigen Zloty aus Oppeln bekommen, während andere Gemeinden Subventionen erhielten. Mir ist es gleich, woher das Geld kommt, Hauptsache, meine Bürger kriegen Wasser.“

Die deutsche Finanzhilfe soll künftig über die neugegründete „Stiftung zur Entwicklung Schlesiens“ des Sejm-Abgeordneten Helmut Pazdzior laufen. Die wird die deutschen Gelder dann in Form von Vorzugskrediten an mittelständische Unternehmer vergeben. „Bevorzugt werden Kreditnehmer deutscher Abstammung, aber es können auch an andere Kredite vergeben werden, es geht um die Entwicklung der ganzen Region“, erklärt Pazdzior.

Ganz gleich, wo man die Ursachen für die Entwicklung sieht – die Polarisierung zwischen deutscher Minderheit und polnischer Mehrheit in Schlesien nimmt zu. Danuta Berlinska, Bevollmächtigte des Woiwoden für Minderheitenfragen: „Wir beobachten ein psychologisches Sichabsetzen der Minderheit. Deren Mitglieder beginnen immer mehr das zu suchen, was sie von ihren polnischen Mitbürgern trennt.“

Diese reagieren ähnlich. Berlinska: „In der Oberschlesischen Zeitung wurde sogar die These aufgestellt, daß zwischen den Schlesiern und den Polen, die nach dem Krieg hierherkamen, keinerlei Gemeinsamkeiten bestehen, weil alles sie trennt: Sprache, Brauchtum, Tradition, Werte, Symbole.“

Nur unter der Hand wird in Oppeln bisher die Information verbreitet, selbst die immer häufiger vorkommenden Prügeleien zwischen Schülern am Oppelner Busbahnhof hätten darin ihre Ursache. Ein Lokalreporter: „Da prügeln sich Hiesige auf der einen mit Zugewanderten auf der anderen Seite. Die Polizei hält sich bedeckt und spricht nur von Hooligans. Auf den Dörfern war das schon immer so, daß man als Pole damit rechnen mußte, eins auf die Nase zu kriegen, wenn man in der Disko eine Einheimische anmachte oder umgekehrt. Neu ist, daß das jetzt auch in der Stadt Oppeln selbst geschieht.“ Nach Informationen aus der Szene werden die Auseinandersetzungen noch zusätzlich angeheizt von Emissionären der extrem nationalistischen, antideutschen und antisemitischen „Polnischen Nationalgemeinschaft“, deren Chef Boleslaw Tejkowski seit einem Jahr von der Polizei zur Fahndung ausgeschrieben ist. „Die kommen aus Breslau, bezahlen einigen durchgedrehten Skins das Krafttraining und lassen sie dann alles zusammenhauen, was ihnen in den Weg kommt“, berichtet ein Insider.

Der Graben zwischen „Hiesigen“ und „Einheimischen“, Schlesiern, die sich immer mehr als Deutsche definieren, und Polen, zieht sich bis in die Woiwodschaftshierarchie hinein. Nach dem Streit um Denkmäler und Neonazis hatten die deutschen Abgeordneten von Premierministerin Suchocka die Zusage erhalten, es werde im Woiwodschaftsamt der Posten eines Minderheitenbeauftragten eingerichtet. Wie selbstverständlich ging man in der Minderheit davon aus, der Bevollmächtigte werde selbst der Minderheit entstammen, schließlich sind bisher alle führenden Posten des Amtes mit Polen besetzt.

Doch Woiwode Ryszard Zembaczynski ging wieder einmal eigene Wege: Danuta Berlinska, Soziologin am Schlesischen Institut, wurde zur Bevollmächtigten ernannt; im Rahmen eines Halbtagsjobs erhielt sie ein zugiges Zimmer im ersten Stock. Sie erfreut sich zwar in der Minderheit einiger Beliebtheit, gehört aber weder zu ihr, noch sitzt sie in der Führungsetage. „Man mußte halt was tun, damit die Minderheit Ruhe gibt“, kommentiert das ein Woiwodschaftsbeamter sarkastisch.

Als die Abgeordneten der Minderheit vor zwei Jahren ihre Arbeit begannen, hatten viele die Hoffnung, die Übernahme politischer Verantwortung werde die Minderheit moderater machen. Was die Abgeordneten und viele der Gemeinderäte und Bürgermeister in Schlesien angeht, so haben sich diese Hoffnungen voll erfüllt. Doch der Preis dafür ist hoch: Bei immer mehr Minderheitenaktivisten in den Dörfern gilt Henryk Kroll, Fraktionschef der Deutschen im Parlament, als Verräter, Weichling und Opportunist. Die sieben deutschen Vertreter in Warschau haben längst feststellen müssen, daß viele ihrer Wahlslogans unrealistisch waren.

Nicht so ihre Basis, die die Diskrepanz zwischen Worten und Taten eher noch radikaler macht. Vertreter der Fundamentalisten im Parlament war lange Zeit Georg Brylka aus Dobrodzien (Guttentag) in der Woiwodschaft Tschenstochau. Brylka trat inzwischen zurück, nachdem sich herausgestellt hatte, daß er in den siebziger Jahren mit der polnischen Geheimpolizei zusammengearbeitet hatte. Was er da genau getan hat, ist ebenso strittig wie die Frage, ob er wirklich deshalb zurücktrat. Brylka: „In Wirklichkeit bin ich zurückgetreten, weil ich gesehen habe, daß man im Parlament gar nichts erreicht.“

Seine Hauptforderung, die von den anderen Abgeordneten längst fallengelassen wurde: Polen und Deutschland müssen die Doppelstaatsbürgerschaft für Schlesier offiziell anerkennen. Brylka selbst erklärte öffentlich, er sei zurückgetreten, weil er sich als Deutscher nicht auf die polnische Verfassung vereidigen lassen könne. Seither reist er über die Dörfer und macht Stimmung gegen die restlichen Abgeordneten. Mit Erfolg: Der Versuch Krolls, ihn auch als Vorsitzenden des „Zentralrats der deutschen Gesellschaften“ abzusetzen, scheiterte kläglich. Von zwanzig Bezirksvorständen stimmten nur zwei gegen Brylka, der als enger Vertrauter des Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Czaja, gilt.

Es war nicht anzunehmen, daß der Rechtsruck in Warschau nach den letzten Parlamentswahlen ohne Auswirkungen auf die Lage der Minderheiten bleiben würde. Bis 1992 hatten es die Oppelner Regionalpolitiker meist mit toleranten, liberalen Politikern in den Warschauer Ministerien zu tun. Seit Zustandekommen der Regierung Suchocka haben auch die Rechtsparteien, besonders die Christnationalen, ein Wörtchen mitzureden. Deren Minderheitenexperte Jan Piatkowski ließ im zuständigen Ausschuß keinen Zweifel daran, daß er seine Aufgabe darin sehe, „die Minderheiten zu kontrollieren“.

Inzwischen ist Piatkowski Justizminister. In Oppeln hat man die Zeichen der Zeit gut erkannt. Als der Vorsitzende der rechtsradikalen „Nationalen Partei“ in Oppeln, ein ehemaliger KZ-Insasse, mit einem Stein die Scheibe der Wohnung eines deutschen Abgeordneten einwarf, mußte er nur die Gerichtskosten bezahlen. Das Laiengericht, das in Polen für kleinere Delikte zuständig ist, sah von einer Bestrafung ab, „da der Angeklagte aus patriotischen Motiven gehandelt hat“.