■ Heute entscheidet das „Parlament“ der bosnischen Serben
: Meister der Pirouetten

Da leistete am vergangenen Sonntag ein Kriegsverbrecher eine Unterschrift – und alle Welt atmete auf, und jetzt schaut man wie das Kaninchen auf die Schlange, ob heute abend nach dem Führer auch das „Parlament“ der bosnischen Serben dem von der EG und der UNO vermittelten Friedensplan zustimmt. Zum drittenmal in diesem Jahr scheint das Schicksal Bosnien-Herzegowinas vom Wohlwollen einer in keiner Weise demokratisch legitimierten Truppe aus Honoratioren und Rabauken abzuhängen.

Zum drittenmal: Im Januar stimmte das „Parlament“ dem Vance-Owen-Plan zu, nachdem Karadžić höchstselbst für den andern Fall seinen Rücktritt „angedroht“ hatte. Die Öffentlichkeit war erleichtert. Daß die bosnischen Serben just den umstrittensten Punkt des Plans, die Grenzziehung zwischen den zehn künftigen Provinzen, weiteren Verhandlungen anheimstellten, fiel kaum jemandem auf. Nachdem Karadžić am vorletzten Sonntag denselben, leicht zugunsten der serbischen Seite veränderten Friedensplan abgelehnt hatte, zog das „Parlament“ nach und verwarf den Plan ebenfalls, einstimmig. Owen hatte vom letzten Angebot gesprochen, der letzten Möglichkeit, die militärische Intervention noch abzuwenden. Die Verschärfung der Sanktionen trat in Kraft.

Am Sonntag unterschrieb Karadžić den Plan nun doch. Und zum drittenmal tagt nun heute das „Parlament“ der bosnischen Serben in derselben Angelegenheit. Mag sein, daß es seinem „Präsidenten“ folgt, der versprochen hat, andernfalls sein Amt zur Verfügung zu stellen. Mag sein, daß es diesmal hart bleibt. Mag sein, daß es dem Friedensplan zustimmt, aber das letzte Wort dem Volk überläßt. Mag sein, daß es zustimmt, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Mag sein, daß es die Entscheidung vertagt. Der Möglichkeiten, den Chefdiplomaten von Genf ein bißchen Verhandlungsspielraum zu eröffnen, sind viele, zumal Vance und Owen nach auch nur dem kleinsten Finger schnappen, den man ihnen entgegenstreckt – immer in der Hoffnung, das Scheitern ihres Plans noch länger camouflieren zu können.

Die virtuosen Pirouetten der bosnisch-serbischen Diplomatie verschleiern den Blick auf die krude Wirklichkeit. In Goražde ernähren sich die Menschen von Gras, weil die Serben die UN-Konvois blockieren. In Bihać sind 300.000 Muslime eingeschlossen. In Sarajevo schlagen weiterhin die Geschosse schwerer Artillerie ein. Selbst wenn das bosnisch-serbische Parlament heute abend ohne Wenn und Aber den Vance- Owen-Plan unterzeichnen sollte, wer garantiert eigentlich, daß dann die Waffen schweigen, daß die Hilfe bei den Hungernden ankommt, daß sich die Serben aus Gebieten, die ihnen nach dem Plan nicht zustehen, auch wirklich zurückziehen? Vor acht Monaten hat Karadžić in London unterschrieben, daß die bosnischen Serben ihre militärischen Angriffe einstellen und ihre schweren Geschütze der Kontrolle durch die UNO unterstellen würden. Auch damals wurde die Unterschrift eines Kriegsverbrechers weit über Wert gehandelt. Thomas Schmid