Neue serbische Offensive in Bosnien

Über 40.000 Menschen sind im brennenden Zepa eingeschlossen / Bosnisches „Serbenparlament“ berät über Vance-Owen-Plan / Nato und UNO diskutieren militärischen Einsatz  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Vor dem Hintergrund fortgesetzter schwerer Angriffe serbischer Einheiten an fast allen Fronten in Bosnien beginnt deren selbsternanntes „Parlament“ heute in Pale seine erneuten Beratungen über den Vance-Owen- Plan. Die Angriffe konzentrierten sich vor allem auf Brčko, Gradačac, Tuzla und Zepa im Norden und Nordosten Bosniens. Diese bislang von Muslimen und Kroaten verteidigten Städte sind für die bosnischen Serben von strategischer Bedeutung, sowohl was die Schaffung eines serbischen Korridors zwischen Serbien und der kroatischen Krajina als auch was die Aufrechterhaltung wichtiger Nachschublinien aus Serbien angeht.

Die Konzessionen, die das Duo aus EG-Unterhändler David Owen und UNO-Beauftragten Cyrus Vance am Sonntag in Athen gegenüber Serbenführer Karadžić gemacht hatten, haben sich damit offensichtlich nicht ausgezahlt. Abweichend von ihrer bisherigen Position, wonach eine Garantie des freien Verkehrs für Mitglieder aller Volksgruppen durch die künftigen zehn Provinzen ausreichend sei, hatten Vance und Owen der Schaffung eines zehn Kilometer breiten „Korridors“ durch die zwischen zwei serbischen Provinzen liegende kroatische Provinz im Norden Bosniens zugestimmt. In diesem „Korridor“, der auf zunächst unbegrenzte Zeit von UNO-Truppen überwacht werden soll, dürfen sich laut Vance-Owen- Plan weder Soldaten noch Polizeikräfte der drei Volksgruppen aufhalten.

In Zepa, wo sich nach Angaben des UNO-Flüchtlingshochkommissariats in Genf neben den 40.000 verbliebenen Einwohnern auch noch rund 20.000 Flüchtlinge aufhalten, sind nach den schweren serbischen Artillerieangriffen gestern zahlreiche Brände ausgebrochen. Das berichteten Funkamateure aus der belagertern Stadt. Auch die Hauptstadt Sarajevo und das nordbosnische Bihać lagen am Dienstag unter schwerem serbischem Artilleriebeschuß.

An der „Parlaments“sitzung in Pale wird neben den Präsidenten Serbiens, Restjugoslawiens und Montenegros, Milošević, Ćosić und Bulatović, möglicherweise auch der griechische Ministerpräsident Konstantin Mitsotakis teilnehmen. Dieser forderte gestern erstmalig die schrittweise Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien. Spätestens seit der Konferenz von Athen am vergangenen Wochenende müsse die internationale Staatengemeinschaft zwischen den „friedenswilligen“ jugoslawischen und den bosnischen Serben differenzieren. In Belgrad sprach sich der Führer der „Serbischen Radikalen Partei“ (SRS), Vojslav Šešelj, gegen eine Zustimmung des bosnisch-serbischen „Parlaments“ zum Vance- Owen-Plan aus. Den Sozialisten des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević, die seit den Wahlen im Januar in Koalition mit der SRS regieren, warf Šešelj indirekt „Verrat“ vor.

Der UNO-Sicherheitsrat begrüßte unterdessen die Unterschrift des „Präsidenten“ der bosnischen SerbInnen, Radovan Karadžić, unter den Plan in der Nacht zu Dienstag. Die zur Entsendung weiterer UNO-Schutztruppen nötige formale Absegnung wurde jedoch auf einen Zeitpunkt nach einer Entscheidung in Pale verschoben.

US-Außenminister Warren Christopher erhielt derweil auch in Paris, der nach London zweiten Station seiner Reise durch die europäischen Hauptstädte, keine konkreten Unterstützungszusagen für militärische Kampfmaßnahmen gegen serbische Ziele. Ob die Clinton-Administration bereit sei, Soldaten für die von der UNO geplante 75.000 Mann starke Truppe zur Durchsetzung und Überwachung eines Bosnien-Abkommens bereitzustellen, wie der französische Außenminister Joppe gefordert hatte, wollte Christopher nicht sagen.

Aus Washingtoner Regierungskreisen verlautete nach Angaben der Washington Post, man wolle in einer ersten Phase 2.000 GIs entsenden. Bei UNO und Nato wird allerdings von einem Bedarf von 25.000 US-amerikanischen Soldaten für die 75.000 Mann starke UNO-Truppe ausgegangen. Einen ohne Quellenangabe verbreiteten Bericht des Fernsehsenders NBC, wonach sich Spezialeinheiten der US-Streitkräfte bereits in Bosnien befänden und dort mögliche Ziele für Luftangriffe identifizierten, wurde vom Pentagon nicht bestätigt.

Wie es in dem Bericht weiter hieß, werde vor Ort die Landung von US-Marineinfanteristen an der exjugoslawischen Adriaküste und der Absprung von Fallschirmjägern über Sarajevo geplant. In einer späteren Phase sollten 12.000 in Deutschland stationierte US- Panzerdivisionäre in Bosnien eingesetzt werden.