„Letzter Feldzug des Kalten Krieges“

Der ehemalige Spionagechef der DDR, Markus Wolf, übt zum Auftakt seines Prozesses vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht harte Kritik an der Bundesanwaltschaft  ■ Aus Düsseldorf Wolfgang Gast

Für Markus Wolf ist eigentlich alles klar: „Folgt das Gericht der Absicht der Anklagebehörde, ordnet sich dieser Prozeß in die Reihe einseitiger politischer Prozesse ein, in denen Siegerrecht gesprochen wird.“ Harte Vorwürfe an den 4. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes, der seit gestern im abhörsicheren Saal 01 gegen den früheren Chef der „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA) wegen Landesverrates verhandelt. Sichtlich angespannt verfolgte Markus Wolf den Beginn der Hauptverhandlung, dies konnte auch seine zur Schau getragene Gelassenheit nur schlecht verbergen. Daß er wegen Landesverrates angeklagt wurde, hält Markus Wolf für „absurd, rechtlich unhaltbar“ – der Vorwurf „erscheint schon dem Wortsinn nach derart abwegig, daß er vom normalen Menschenverstand nicht zu fassen ist.“ Welches Land, so Wolf weiter, „soll ich verraten haben?“

Für den 70jährigen reiht sich der Prozeß ein in die Folgen eines historischen Prozesses, „für den es keinen Präzedenzfall in der Geschichte der Neuzeit gibt: die friedliche Vereinigung zweier unabhängiger, souveräner Staaten“. Der Zusammenbruch der DDR und des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus fordere zwar auch von ihm eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit: „Doch nicht vor den Schranken dieses Gerichtes“. Die DDR gilt laut Wolf als international anerkanntes Mitglied der UNO – „ihre Nachrichtendienste konnten dieselbe Legitimation beanspruchen wie die entsprechenden Dienste der BRD“.

Der Bundesanwaltschaft warf Wolf in seiner 25minütigen Erklärung vor, bewußt dem Zeitpunkt einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Frage einer prinzipiellen Strafbarbeit der DDR-Spionage vorgreifen zu wollen. Mit seinem „Symbolfall“ solle das weitere Vorgehen der Anklagebehörde präjudiziert werden. Es gehe dabei auch „um Einschüchterung und Strafandrohung gegen Tausende ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, die nachrichtendienstlich außerhalb ihrer Grenzen tätig waren“. Um den Grundsatz der Gleichheit zu umgehen und um die „bedenkliche Praxis einseitiger Repression“ zu begründen, sei die DDR a priori zum Unrechtsstaat erklärt worden. Jeder, der in diesem Staat aktiv oder in verantwortlicher Position tätig war, könne so zum „Täter“ abgestempelt werden. Damit sei ein Klima geschaffen worden, „das den letzten Feldzug des Kalten Krieges möglich machte“.

Verbittert zeigte Wolf weiter, daß es im Zuge der Verhandlungen zur deutschen Einheit keine Amnestie für die Mitarbeiter der HVA gegeben hat, obwohl dies seinerzeit die Verantwortlichen im Bonner Innen- und Justizministerium, ja selbst der Bundesanwalt Alexander von Stahl, geplant hatten. Er erinnerte auch daran, daß er bei der Auflösung der HVA bereit gewesen sei, den Sicherheitsinteressen der neuen Bundesrepublik Rechnung zu tragen und dies mit dem damals vom Bonner Innenminister beauftragten Eckart Werthebach zu besprechen. Die Antwort sei aber die eines „Siegers“ gewesen: „Bedingungslose Kapitulation, erst die Namen der Quellen, dann werde man sehen.“ Man hätte aber wissen müssen, „wir gehören nicht zu jenen, die sich Anstand und Ehre abkaufen lassen“. Der Verteidiger Johannes Schwenn hatte zu Beginn der Hauptverhandlung gefordert, das Gerichtsverfahren solange auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Strafverfolgung von Geheimdienstmitarbeitern der DDR entschieden hat. Das Karlsruher Gericht muß entscheiden, weil es vom Berliner Kammergericht angerufen wurde. Anders als die Bundesanwaltschaft und der Bundesgerichtshof, vertrat das Berliner Gericht im Verfahren gegen Wolf- Nachfolger Werner Großmann und vier seiner engsten Vertrauten die Auffassung, eine einseitige Verfolgung der Ostspione verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Das Verfahren in Berlin ist ausgesetzt. Schwenns Antrag wurde abgelehnt.