Richter verordnen Hamburg Neuwahl

■ Hamburger Verfassungsrichter: CDU-Klüngel verstieß gegen innerparteiliche Demokratie

Hamburg (dpa/taz) – Nicht einmal Wahlen sind vor deutschen Verfassungsrichtern sicher. Zum ersten Mal muß jetzt in der Bundesrepublik wegen eines Verfassungsgerichtsurteils eine Landtagswahl wiederholt werden. Das Hamburger Verfassungsgericht erklärte gestern die Bürgerschaftswahl von 1991 und fünf von sieben Bezirksversammlungswahlen für ungültig. Die Landesregierung müsse das Datum für eine Neuwahl „unverzüglich“ festsetzen. Bei den Wahlen 1991 erreichten die SPD 48, die CDU 35,1, die Grünen 7,2 und die FDP 5,4 Prozent. Seitdem regiert als Erster Bürgermeister SPD-Mann Henning Voscherau mit einer absoluten Mehrheit von einer Stimme.

Die Wahlen müssen wiederholt werden, weil das Gericht bei der internen Auswahl der CDU-Kandidaten schwerwiegende Verstöße gegen die innerparteiliche Demokratie feststellte. Alternativen oder Minderheiten hätten bei der Kandidatenkür der CDU keine Chance gehabt, sagte der Präsident des Verfassungsgerichts, Helmut Plambeck. „Sie waren von vorneherein diskriminiert“, kritisierte er die Hamburger Klüngelei.

Das Wahlverfahren, zum Beispiel über Kandidaten in Zehnerblöcken abstimmen zu lassen und erst nach zweimaligem Abblocken alternative Personalvorschläge zuzulassen, sei als schwerer Verstoß gegen die innerparteiliche Demokratie zu werten. Daran ändere auch nichts, daß das Verfahren so in der CDU-Satzung vorgesehen gewesen sei. Auch eine bereits erfolgte Satzungsänderung der Union fand vor den Richtern keine Gnade. Geklagt hatten bei den parteiinternen Wahlen unterlegene CDU-Dissidenten unter Führung des inzwischen aus der Partei ausgetretenen Markus Ernst Wegner. Eine Gleichheit der Wahl im Sinne des Grundgesetzes und des Hamburger Wahlgesetzes habe nicht vorgelegen, stellte das Gericht fest. Die CDU könne sich auch nicht auf eine „Art Gewohnheitsrecht“ berufen. Die Mängel seien so gravierend gewesen, daß die Ungültigkeitserklärung Vorrang haben müsse vor dem Bestandsgebot für Wahlen und Parlamente.

Zwar sei keine „unumstößlich sichere Feststellung“ möglich, wie sich ein anderes Verfahren auf die Zusammensetzung der Bürgerschaft und der Bezirksversammlungen ausgewirkt hätte. Aber bei einem demokratischeren Wahlverfahren wäre die CDU-Fraktion „mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit“ anders zusammengesetzt gewesen, sagte Plambeck. Deshalb müssen jetzt nicht allein die CDU-internen Wahlen, sondern auch die Bürgerschaftswahlen wiederholt werden.

Das Urteil könnte auch für die letzten Bundestagswahlen schwerwiegende Folgen haben. Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben die erfolgreichen CDU-Dissidenten Klage wegen des CDU- internen Wahlverfahrens für die Bundestagswahl in Hamburg eingereicht. Ein Urteil steht hier noch aus.

Unklar ist, ob das Landesparlament nun für vier Jahre oder nur für die restlichen zwei Jahre der Legislaturperiode neu gewählt werden muß. Im Hamburger Rathaus, in dem die SPD seit Juni 1991 mit einer Stimme Mehrheit regiert, begannen nach dem Beschluß Krisensitzungen. Öffentliche Stellungnahmen der Landesregierung blieben aus. Die Wahlwiederholung wird für den kommenden Herbst erwartet. Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10