Nachschlag

■ Reinhold Andert zu Gast in der Stadtbücherei

In der DDR gab es vor allem eine Sorte Lüge: Die war offiziell, pathetisch, plump – und ganz schnell zu durchschauen. Der Ostberliner Liedermacher und durch sein Interviewbuch mit Honecker bekanntgewordene Autor Reinhold Andert zieht daraus nun die Konsequenzen: Neue Zeiten verlangen neue Lügen, effektivere Infamie. Sie ist reichlich vorhanden in seinem Buch „Unsere Besten. Die VIPs der Wendezeit.“ Einfache Gemüter werden daran Freude haben, zynische Schreibtischtäter nicht minder. Für die ersteren bietet das Buch eine Unzahl von biographischen Details über die Glanzlichter der Vereinigung, von Sabine Bergmann-Pohl bis zu Verkehrs-Krause. Für Voyeure, die angesichts der geistigen Beschaffenheit von Ostpolitikern noch zu erstaunen sind, ist das Büchlein in der Tat eine Fundgrube. Für die anderen mag es eine Freude sein, daß spätestens mit diesem Buch die Stasi-Sprache wieder hoffähig wird. Jürgen Fuchs, so erfahren wir, beteilige sich an der „Ost-Intellektuellen-Abschlachtung“, und Wolf Biermanns Rausschmiß wäre ein „Ausbürgerung genannter Umzug gewesen, der ihn erst populär machte“ – überdies hätte er bis zuletzt mit Margot Honecker auf vertrautem Fuß gestanden.

Nun ist verbales Dissidenten-Aufklatschen im Osten ja notwendig für die Seelenstabilität der Täter und Mitläufer, der zerknirschten Halbintellektuellen, die sich in den Redaktionen und Fernsehanstalten tummeln – aber diese Form des Anpinkelns ist neu. Man unterstellt einfach: Alle sind gleich da oben. Stasi, Opposition, Namen, Programme, alles dieselbe Undurchsichtigkeit. Und der kleine Mann hat eben doch gut daran getan, sich nie einzumischen, sondern wegzusehen und das Maul zu halten. Das ist die Botschaft des Buches, und sie wird ankommen, Unrechtsrelativierung auf witzig. Denn die wahren Edlen sind dünn gesät: Stolpe, Fink, Gysi. Mit denen geht Andert fast ehrfürchtig um, nicht ohne die Peinlichkeit durch einen pseudokritischen Kalauer hin und wieder aufzulockern. Die MfS-Desinformationsstrategen werden sich ins Fäustchen lachen. Zucker sei wichtig für das Gehirn, als Kind habe er viel Zucker gegessen, ließ Andert die ZuhörerInnen wissen. Und ihm ist tatsächlich ein Kunststück gelungen: Zuckerguß auf Scheiße, Lügen in der Pose des Aufklärers, gebunden vom ElephantenPress-Verlag. Marko Martin