Eine Zuflucht für bosnische Frauen

■ Fraueninitiative plant Errichtung eines Flüchtlingshauses / Name erinnert an vergewaltigte Frau, die das Schweigen brach

Berlin. Keine Art von Gewalt hätten die serbischen Eroberer ausgelassen, hatte Azra berichtet, eine 40jährige Überlebende aus Bosnien-Herzegowina. „Um sich das alles auszudenken, dazu müßte man sich hinsetzen und lange, lange nachdenken... Manchen Frauen haben sie zersplitterte Flaschen hineingedrückt, Gewehrläufe auch. Dann weißt du nicht, ob er gleich abfeuert...“ Dieser vergewaltigten Frau zu Ehren, die das Schweigen über sexuelle Gewalt brach, wird das von einer Fraueninitiative geplante Frauenflüchtlingshaus und sein Trägerverein „Azra“ heißen. Wenn der Senat das Projekt unterstützt, sollen dort ab August 70 Frauen und Kinder aus dem Kriegsgebiet in Ex-Jugoslawien Zuflucht finden.

Die Idee zu einem Frauenflüchtlingshaus wird von allen Anti-Gewalt-Projekten in Ost- und Westberlin sowie der AWO-Beratungsstelle für jugoslawische Frauen und dem Verein „Süd Ost Europa Kultur“ getragen. Seit Januar diskutieren diese Projektefrauen zusammen mit Frauen aus Ex-Jugoslawien die Konzeption. Schon im letzten Jahr hätten die Mitarbeiterinnen der vier Frauenhäuser überlegt, erzählt Mitinitiatorin Pinar Ilkkaracan vom „Zweiten autonomen Frauenhaus“, ob sie Vergewaltigte aufnehmen sollten, sich dann jedoch dagegen entschieden. Erstens, weil ihnen die Fachkräfte für die nötige psychosoziale Betreuung fehlten, zweitens, weil die Regierung in der politischen Pflicht stünde, diesen Flüchtlingen zu helfen. Die Initiative fordert deshalb auch, daß die Betroffenen zwecks längerfristiger Therapie eine Aufenthaltsbefugnis erhalten, wie bereits in Niedersachsen praktiziert, und nicht wie bisher alle drei Monate zur Verlängerung ihres Visums gezwungen werden. Auch dürften die Frauen keinesfalls genötigt werden, wie es das Auswärtige Amt eine Weile lang verlangte, mittels Zeugenaussagen ihre Vergewaltigung zu beweisen. „Eine kranke Männerüberlegung“ sei das, findet Mitinitiatorin Begzada Djulovic-Kilian.

Die seit drei Jahren in Berlin lebende bosnische Journalistin hat zusammen mit einer Deutschen einen zweimonatigen Werkvertrag von der Senatsverwaltung für Frauen finanziert bekommen, um eine Konzeption samt Finanzplan für das Projekt zu entwerfen. Das Schriftstück ist inzwischen fertig und liegt nun auch den Parlamentsfraktionen vor. Viele der Vergewaltigten seien noch Jungfrauen gewesen, heißt es darin. „Die meisten von ihnen sind nun überzeugt, für das ganze Leben ruiniert zu sein und nie mehr einen Ehemann finden zu können. Die verheirateten Frauen wollen oft nicht zurück zu den Ehemännern oder ihrer Familie, weil sie glauben, von ihnen verstoßen zu werden, was auch vielen Frauen passiert. Aus diesem Grund versuchen viele Frauen, die Vergewaltigungen geheimzuhalten.“

Wäre es da nicht besser, schon im Kriegsgebiet Zufluchtsmöglichkeiten zu organisieren und nur die Helferinnen hier auszubilden, wie es die Gründerinnen des „Instituts Anna O.“ vorhaben? „Das widerspricht sich nicht, sondern ergänzt sich“, findet Pinar. „Manche Frauen wollen bleiben, manche wollen unbedingt raus.“ „Die Hilfe vor Ort derzeit ist ungeheuer schwierig zu organisieren“, ergänzt Begzada. Die aufgeflammten Kämpfe zwischen Bosniern und Kroaten schnitten viele bosnische Orte von der Versorgung ab und sorgten dafür, daß sich die Bosnierinnen in den kroatischen Flüchtlingslagern erneut bedroht fühlten. In Berlin aber sollen die Traumatisierten unter der Obhut von Psychologinnen, Ärztinnen, Sozialpädagoginnen und anderen Fachkräften behutsam stabilisiert werden. Im Finanzplan sind dafür 16 Planstellen für rund eine Million Mark pro Jahr ausgewiesen, hinzu kämen einmalige Ausstattungskosten von rund 830.000 Mark und laufende Sachkosten von knapp 250.000 Mark pro Jahr. Doch trotz der Kosten sind die Frauen optimistisch: „Die bisherige Resonanz auf unser Vorhaben war überall positiv.“ Ute Scheub