■ Landgericht Kempten fällt Urteil im „Mafia-Prozeß“: Von der Mafia war nicht die Rede
Kempten (taz) – Das Landgericht Kempten hat am Dienstag den 37jährigen Vito S. (siehe „Wahrheit“ vom 21.04.) wegen zahlreicher Kokaindelikte, zwei Falschgeldgeschäften, Beihilfe zur Urkundenfälschung und mehrerer Waffendelikte zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt. Der Mitangeklagte, Antonio M., wurde zu drei Jahren und drei Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Die deutsche Lebensgefährtin des Hauptangeklagten wurde freigesprochen. Ein überraschend mildes Urteil, vor allem für den mutmaßlichen Allgäuer Mafia-Boß. Doch konnten den Angeklagten nur zum Teil die Verbrechen nachgewiesen werden, die in der Anklageschrift auf 37 Seiten beschrieben waren. Der brutale Banküberfall auf eine Raiffeisenbank war ebenso vom Tisch wie die schwere räuberische Erpressung, die zur versuchten Nötigung wurde. Dafür wog das Geständnis der beiden Beschuldigten erheblich strafmildernd. Von einer Mitgliedschaft in der Mafia oder gar der zentralen Führungsrolle beim Neuaufbau der Organisation im Allgäu war im Urteil keine Rede mehr.
Selbst der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer zugeben müssen, daß sich der Vorwurf der Mafia- Zugehörigkeit nur schwer nachweisen lasse. Auch in vorangegangenen Prozessen gegen mehrere Sizilianer, die in Kempten überwiegend wegen Rauschgiftdelikten verurteilt worden waren, hatten die Ermittler Probleme mit dem Mafia-Vorwurf. Daß die Beschuldigten dies bestreiten, verwundert kaum, gilt es doch als todeswürdiges Vergehen, sich der Mitgliedschaft der Mafia zu bekennen. Aber die Begründung des Staatsanwalts, daß die Mitgliedschaft in oder die Bildung einer kriminellen Vereinigung nur mit einer Höchststrafe von fünf Jahren strafbewährt sei und daher bei der Festlegung der Gesamtstrafe ohnehin nicht mehr von Bedeutung sei, wurde nicht nur von den Rechtsanwälten der Angeklagten hinterfragt. Warum, so hieß es auf dem Gerichtsflur und bei den zahlreichen Journalisten, die die Verhandlung verfolgten, wird dann von der Staatsanwaltschaft gerade dieser Mafia-Vorwurf immer so hochgespielt? Liegt da nicht die Vermutung nahe, daß damit womöglich härteren gesetzlichen Regelungen, wie beispielsweise dem Lauschangriff, der Boden bereitet werden soll? Das bayerische Landeskriminalamt (LKA) sieht das Allgäu nach wie vor als Rückzugs- und Operationsraum für die Mafia. Einige Tage vor den Urteilen referierten zwei Mafia-Spezialisten des LKA in Kempten über das organisierte Verbrechen. Nach wie vor werde aus diesem Raum der Drogenhandel organisiert und durchgeführt.
Der Rechtsanwalt des Hauptangeklagten Vito S., Strafverteidiger Thomas Pfister, sprach von einer „Mafia-Komödie“ und einem „juristisch gesehen aufgeblähten Verfahren“. Wenn trotz 13.000 Seiten Ermittlungsakten am Schluß nur Rauschgiftdelikte und kleinere Falschgeld- und Waffenvergehen übrigblieben, sei ein Vorpreschen in Sachen Mafia wohl kaum zu vertreten. „Richtige Mafiosi hätten sich vor Lachen auf die Schenkel geklopft, wenn sie dieses Verfahren verfolgt hätten“, sagte Pfister.
In seinen Schlußworten zeigte sich der von den Ermittlungsbehörden als Allgäuer Mafia-Chef bezeichnete Vito S. reumütig: „Ich erkenne meine Schuld. Es tut mir sehr leid, was passiert ist. Ich hoffe, daß Sie mir Gelegenheit geben, ein neues Leben mit meiner Frau und meinem Sohn hier in Deutschland zu beginnen.“ Zumindest dieser Wunsch wird Vito S. nicht in Erfüllung gehen. Nach dem neuen Ausländerrecht droht im Falle einer Verurteilung von über fünf Jahren Freiheitsstrafe automatisch die Ausweisung. Klaus Wittmann
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