■ Milošević geht es darum, seine Macht zu erhalten oder zu vergrößern – Krieg und Frieden sind dem untergeordnet
: Streit im serbischen Lager

Es gibt keinen Zweifel, daß der Präsident Serbiens, Slobodan Milošević, entscheidenden Einfluß auf die Annahme des Vance- Owen-Planes durch den Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, hatte. Und sehr wahrscheinlich wird auch das „Parlament“ der bosnischen Serben nun den Plan unterstützen, wenn es ihn auch noch vor einer Woche einstimmig abgelehnt hat.

Wie kam es dazu, daß Milošević seinen Standpunkt geändert und den Plan angenommen hat, der vom Standpunkt seiner Kriegsziele aus betrachtet vernichtend ist?

Das Regime in Belgrad hat lange auf Hilfe aus Moskau gehofft. Oppositionelle Abgeordnete aus Rußland kamen zuhauf nach Belgrad und versprachen den pravoslawischen Brüdern Unterstützung in ihrem gerechten Kampf gegen die neue Weltordnung. Aber Boris Jelzin hat das Referendum gewonnen, und am selben Tag hat sich Milošević entschlossen, den Friedensplan für Bosnien anzunehmen. Außerdem lief an jenem Tag, dem 25. April, die Frist ab, die der UN-Sicherheitsrat gestellt hatte. Neue, schärfere Sanktionen gegen Serbien und Montenegro traten in Kraft.

Ein zusätzliches Problem stellte sich für Milošević in Montenegro, wo wegen der Sanktionen die Stimmung für den Friedensplan wuchs. Es bestand die Gefahr, daß sich Montenegro anders als Serbien erklären könnte, was eine Krise in ihren Beziehungen hervorgerufen hätte mit dem Risiko des Zerfalls ihrer ohnehin instabilen Föderation. Diese Krise wäre schon längst ausgebrochen, wenn in Montenegro nicht die Angst vor dem Krieg bestehen würde, mit dem einige der militanten serbischen Nationalisten offen drohen.

Die internationale Isolierung hat in Serbien zu einem Stimmungsumschwung geführt, der Milošević allerdings keine übergroßen Sorgen zu bereiten scheint. Er benutzte die Isolation bislang erfolgreich, um den Zorn des Volkes auf die Welt zu lenken. So wird der wirtschaftliche Zusammenbruch nun allgemein den Sanktionen zugeschrieben, obwohl er in erster Linie durch die Kriegsausgaben hervorgerufen wurde. Sicherlich ist Miloševićs unerwartete Friedfertigkeit eine Folge der nunmehr doch sehr ernsten Drohung einer internationalen militärischen Intervention. Viel weniger aber schreckt eine solche allem Anschein nach Karadžić und die anderen Führer der bosnischen Serben, obwohl in erster Linie gerade ihre Stellungen und Ziele betroffen wären. Sie glauben nicht an eine massive Intervention mit Bodentruppen und hoffen, daß die Luftangriffe die Situation an der Front nicht entscheidend ändern.

Auf jeden Fall fühlen sich die serbischen Krieger in Bosnien als Sieger, und sie sehen nicht ein, weshalb sie nur wegen der Drohung einer ausländischen Intervention sich von einem Großteil des angeeigneten Territoriums zurückziehen sollten. Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen sind sie geneigt, die internationale Gemeinschaft zu erpressen, da sie oft genug Warnungen gehört haben, auf die nichts gefolgt ist. Wenn Serbien sie weiter unterstützt hätte, wären sie wahrscheinlich selbst nach Luftangriffen nicht zu einer Annahme des Vance- Owen Planes bereit.

Milošević hat den bosnischen Serben verschiedentlich mit der Verweigerung von Hilfe gedroht, von der sie in großem Maße abhängig sind, auch wenn ein solcher Krieg nicht per Knopfdruck abzuschalten ist. Eine Einstellung der Hilfeleistungen würde in Serbien selbst viel Widerstand hervorrufen. Beschuldigungen würden laut, daß Belgrad die Brüder in Bosnien verrate. Einige Extremisten haben schon entsprechende Erklärungen abgegeben, sogar nach dem Gipfeltreffen in Athen, wo Karadžić den Friedensplan unterschrieb.

Es handelt sich also nicht einfach um geheuchelte Streitigkeiten, die die Welt täuschen sollen. Milošević war in der Tat bis jetzt nicht besonders listig und geschickt, sondern die internationale Gemeinschaft hat sich aus verschiedenen Gründen betrügen lassen. Der Konflikt im serbischen Lager ist echt und Milošević wird allem Anschein nach alles tun um sich von den militantesten unter seinen Gefolgsleuten zu befreien. Die Kriegspropaganda ist über Nacht aus dem Fernsehen verschwunden, und am Vorabend des Gipfels in Athen wurden zwei einflußreiche Generäle ausgetauscht, von denen einer dem militärischen Geheimdienst angehörte. Es wurden mögliche Träger des Widerstandes und eventuelle Verschwörer gegen das Regime beseitigt.

Milošević hat die Androhung einer Militärintervention ernster genommen als Karadžić, weil er gegebenenfalls eine starke Radikalisierung in Serbien befürchten müßte. Wenn das Territorium Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawien verschont bleiben sollte, würde der Druck auf Milošević steigen, sich in den Krieg einzumischen. Der Führer der (rechtsextremen) serbischen Radikalen Partei, Vojislav Šešelj, der bisher Milošević unterstützt hat, könnte in solch einer Situation zum gefährlichen Gegner werden. Das könnte einen Machtzuwachs für die Armee bedeuten, die Lage in Serbien könnte sich in einer unvorhersehbaren Weise verkomplizieren, und dabei ist in jedem Fall eine Niederlage im Konflikt mit dem übermächtigen Gegner zu erwarten. All das würde Miloševićs Autorität und Macht großen Versuchungen aussetzen. Entgegen weit verbreiteten Vorurteilen ist er keineswegs ein großer Stratege. Auch wenn er versucht, ein Großserbien zu schaffen, so geht es ihm allein um die Stärkung seiner eigenen persönlichen Macht. Er geht Konflikte ein, wann immer und mit wem immer er kann. Konflikte machen ihn zum unverletzbaren Führer. Aber er weiß auch, wann er sich zurückziehen muß. Er merkt, wann es gefährlich wird.

Wird Miloěvić – wann und wo? – einen neuen Krieg entfachen? Viele erwarten das von ihm, aber er hat bis jetzt nur aus dem Schatten heraus Krieg geführt. Immer haben andere für ihn Krieg geführt, und er hat immer darauf bestanden, daß sich Serbien gar nicht im Krieg befindet. Er will sicherlich auch jetzt keinen Krieg auf seinem Territorium, und es scheint, daß er sich einige Zeit der Rolle des Friedensstifters widmen wird. Er wird genügend Gelegenheiten für innere Abrechnungen finden, und zudem ist Serbien zu erschöpft, um sich auf einen neuen Krieg einzulassen. Doch es sollte nicht vergessen werden, daß Milošević kein Mensch ist, der zögert, wenn sich ihm eine gute Gelegenheit bietet, um wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Stojan Cerović

Redakteur bei der oppositionellen Belgrader Wochenzeitung 'Vreme‘ sowie Präsident des 'Zentrums für Antikriegsaktion‘